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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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Abschreckung bestimmt. (Wir sprachen, wenn wir von der Bombe redeten, übrigens nie von einer Waffe, da der Begriff der Waffe zwei gleichwertige Gegner voraussetzt, während der Einsatz der Bombe flächendeckend Menschen wie Ungeziefer vernichtet.) Gegen das Abschreckungsargument sprach erstens, dass die Bombe ja bereits zwei Mal angewendet worden war und die USA sich von dieser Anwendung niemals distanziert hatten. Zweitens aber: Die Abschreckung kann nur funktionieren, wenn die Soldaten, die den Einsatz auszulösen haben, dazu wirklich bereit sind. Genau das aber würde ihre moralische Korruption bedeuten. Außerdem kann, wenn sie dazu nicht bereit sind, dem Feind dies nicht verborgen bleiben, und die Abschreckung wäre dahin. Nur der Oberbefehlshaber könnte sich den geheimen Vorbehalt leisten.
    So erklärte Franz Josef Strauß als Verteidigungsminister in einem privaten Gespräch Carl Friedrich von Weizsäcker – letzterer erzählte es mir selbst – auf dessen Frage, was er täte, wenn tatsächlich ein atomarer Angriff von der anderen Seite unmittelbar bevorstünde: »Sofort kapitulieren.«
    Die damalige Kontroverse war hoch emotionalisiert. Ruhiger und sachlicher spielte sich eine Debatte ab in der Zeitschrift der katholischen Militärseelsorge, die damals einen ausführlichen Aufsatz von Böckenförde und mir über das moralische Problem der Atombombe veröffentlichte. Ein hoher Offizier antwortete uns, und wir erhielten die Möglichkeit einer Replik. Alles fand in gegenseitigem Respekt statt.
    Erwähnen muss ich in diesem Zusammenhang noch, dass der damalige praeceptor Germaniae Karl Jaspers sich in einem überflüssig umfänglichen Buch ebenfalls für die Bereitstellungder Atombombe, ja sogar für ihren eventuellen Einsatz, und außerdem für einen Präventivschlag gegen die Volksrepublik China aussprach.
    Freiheit, so war sein Argument, sei der höchste Wert, und wo deren Untergang drohe, da könne auch der Schutz des Lebens keinen Vorrang besitzen. Damals begann ich zu verstehen, was Carl Schmitt mit der »Tyrannei der Werte« meinte.
    Außerdem war bei Jaspers auch die verhängnisvolle Idee, dass es in diesem Fall »ums Ganze« gehe, leitend. Es ist gerade diese Idee, die den Totalitarismus kennzeichnet. Ihm ist, nach dem Wort Lenins, »alles erlaubt«. Wo es um den höchsten Wert geht, da können alle moralischen Maßstäbe suspendiert werden.
    In dem Artikel für die Zeitschrift »Militärseelsorge« wiesen wir darauf hin, dass die atomare Rüstung auch den Zweck verfolge, die Kosten für eine Armee einzusparen, die erforderlich wäre, in einer konventionellen Auseinandersetzung die Oberhand zu gewinnen.
    Manche Leute haben sich gewundert, als ich Jahrzehnte später für die Nachrüstung eingetreten bin, an der Helmut Schmidt scheiterte und wodurch Helmut Kohl damals Bundeskanzler wurde.
    Unter den prominenten Gegnern der Nachrüstung war auch Heinrich Böll. Ich schrieb ihm damals einen Brief, der in meinem Sammelband »Grenzen« später veröffentlicht wurde und in dem ich Bölls moralisches Verdikt gegen alle Nachrüstungsbefürworter zurückwies. Nicht ich habe meine Überzeugungen geändert, sondern die Wirklichkeit, um die es bei der Nachrüstung ging, war einfach eine andere als in der Zeit, als es um die atomare Bewaffnung selbst ging.
    Der Unterschied lag darin, dass inzwischen die Sowjetunion längst selbst Atomwaffen besaß. Es ging nun nichtmehr um die Frage: Einsatz von Atomwaffen – ja oder nein?, sondern um die Frage, wie wir verhindern können, dass die inzwischen etablierte Atombombe zum Einsatz kommen würde.
    Hiroshima und Nagasaki geschahen zu einer Zeit, als die Amerikaner das Monopol auf die Bombe besaßen. Der amerikanische Physiker Oppenheimer, der »Vater der Atombombe«, war überzeugt, das Monopol auf die Bombe sei das eigentlich Gefährliche.
    Bei der Nachrüstung ging es darum, ob man eine strategische Überlegenheit der Sowjetunion auf dem Gebiet dieser Waffe akzeptieren sollte oder nicht. Mich hatte damals die Argumentation von Sacharow sehr beeindruckt. Sacharow schrieb – und dies unter Gefahr für Leib und Leben –, dass derjenige, der aus der Rüstungsspirale einfach aussteige, dadurch den Weltfrieden unmittelbar gefährde. Man dürfe keine Monopolstellung akzeptieren, schon gar keine der Sowjetunion.
    Mir schienen damals die friedensbewegten Händchenhalter und Kerzenträger gefährlich zu sein, weil sie im Erfolgsfall eine friedensgefährdende Situation

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