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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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Gott mündet.
    Beide Positionen gaben sich unversöhnlich. Fénelon bestand darauf: »Die wahre Gottesliebe liebt Gott um Gottes willen.« Und Bossuet entgegnete: »Fénelon will das Band zerschneiden, das den Menschen mit Gott verbindet, nämlich das Glücksverlangen des Menschen. Und wenn er das durchschnitten hat, dann gibt es für den Menschen keinen Grund mehr, Gott zu lieben. Damit tötet er die Liebe. Kein Mensch kann selbstlos sein.«
    Darauf wieder Fénelon: »Wenn der Bischof von Meaux recht hätte, dann wäre es geschehen um das Feuer, das Jesus auf der Erde entzünden wollte und das der Bischof von Meaux auslöschen möchte.« Der Streit wurde zu einem Politikum, in das sich selbst der König einmischte. Er äußerte: »Fénelon ist der chimärischste Geist in meinem Königreich.« Heute stehen die Denkmäler beider Antipoden nebeneinander vor der Kirche Saint-Sulpice in Paris.
    Im 19. Jahrhundert betrachteten die rechten Traditionalisten Bossuet als ihren großen Helden und Fénelon als Schwärmer; weil Fénelon Kritiker des Absolutismus war, wurde er zum Heros der Aufklärung. Friedrich der Große besaß gleich drei Exemplare von Fénelons Erziehungsroman »Télémaque«.
    Wie kam es zu dieser Etikettierung Fénelons?
    Im 18. Jahrhundert hielt man ihn für einen Freigeist und Schöngeist. Er selbst bezeichnete sich als Freund der Mystiker. Die neuen Mystiker, die Quietisten, lehrten, dass im Zustand der mystischen Selbstvergessenheit alle moralische Anstrengung ihr Ende habe und auch das mündliche Gebet – bis hin zum Vaterunser – nur noch ein Hindernis sein könne für die reine Versenkung in die Gottheit – eine gefährliche Phantastereiin den Augen der Verteidiger der normalen Frömmigkeit.
    In Wirklichkeit aber war Fénelon viel tiefer in der christlichen Tradition verwurzelt als Bossuet. Das erschließt sich einem jedoch erst, wenn man der Sache des Streites zwischen beiden tiefer auf den Grund geht, denn auf den ersten Blick erscheint der bürgerliche Hofbischof Bossuet als der Konservativere.
    In Ihrer Studie »Fénelon – Reflexion und Spontaneität«, mit der Sie sich 1962 habilitierten, wird der wohl letzte Theologenstreit, der ganz Europa in seinen Bann zog, zum Anlass genommen, die geistige Situation der Zeit um 1700 zu analysieren. Dabei spielt die Mystik eine nicht geringe Rolle. Wie hat man nun Fénelons Verhältnis zur Mystik zu verstehen?
    Er war selbst kein Mystiker. Er hatte nicht das, was man mystische Erfahrung nennt, aber er bezeichnete sich wie gesagt als Freund der Mystik. Die Mystik findet zu seiner Zeit bei den Anhängern der Aufklärung Aufmerksamkeit, weil man meint, in einem Punkt eine Verwandtschaft mit ihr konstatieren zu können: Beide gehen auf Distanz zu den historischen, den »positiven« Inhalten der Religion.
    Die Mystik scheint hierin eine Vorreiterrolle einzunehmen: Menschen, die sich in mystische Zustände erheben, erleben sich in einer Vereinigung mit dem Einen, die nicht durch Begriffe ausgedrückt werden kann. Der griechische Philosoph Plotin, Vorläufer aller späteren Mystiker, hat bereits im 3. Jahrhundert darauf bestanden, dass das Eine vor allem sprachlichen Ausdruck und ganz ohne Eigenschaften zu denken sei. Die französischen Mystiker des 17. Jahrhunderts gingen dann so weit, zu behaupten, selbst ein Vaterunser zu beten könne schon falsch sein, weil die mystische Versenkungwortlos bleiben muss. Und auch einzelne Ereignisse im Leben Jesu könnten einen vom Weg zur mystischen Erfahrung nur ablenken.
    Alle Glaubensinhalte des Christentums zugunsten einer begrifflosen Idee, eines ursprünglichen Einen, hinter sich zu lassen, das kam nun jenen Aufklärern entgegen, die sich von der »positiven« Religion emanzipieren wollten. Für Fénelon hingegen kam eine Loslösung vom Christentum nicht in Frage.
    Seit dem Mittelalter unterscheidet man zwei Formen der Theologie: eine
theologia mystica
oder
negativa
, die sich auf Dionysios Areopagita beruft, und eine
theologia dogmatica
, welche die christliche
doctrina
der Kirchenväter tradiert und ausbaut. Zwischen beiden Strängen hat es seit dem Mittelalter Spannungen gegeben. Noch die Auseinandersetzung zwischen Fénelon und Bossuet scheint ein später Nachhall davon zu sein. Konnte sich Fénelon in seiner Präferenz für die Mystik nicht auf die Tradition berufen?
    Doch. Sein wichtigster Gewährsmann unter den Kirchenvätern war Clemens von Alexandrien. In der Kirche galt die mystische Theologie

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