Ueber Gott und die Welt
irgendeine Weise umgehen. Am Anfang waren Hiroshima und Nagasaki, vor allem Nagasaki, weil die Bombe auf diese Stadt fiel, als das Kriegsende infolge der Bombe auf Hiroshima schon besiegelt war. Nagasaki war die pure Machtdemonstration gegenüber Sowjetrussland.
Auf den ersten Blick lag ein Paradox darin, dass die beiden Bomben von »den Guten« geworfen wurden. Aber das war kein Zufall. Die Bomben waren die entsetzliche Demonstration der Überzeugung, dass den Guten »alles erlaubt« sei (wie es Lenin für die Kommunisten proklamierte), dass der gute Zweck die Mittel heilige und dass der gerechte Krieg, der Krieg zwischen Gut und Böse, alles rechtfertige. In ihm ist alles erlaubt, im Gegensatz zur traditionellen Lehre vom gerechtenKrieg, nach welcher die Weise der Kriegführung einen gerechten Krieg zum ungerechten machen kann. Totale Kriege werden immer in der Erwartung geführt, dass es in ihnen ums Ganze geht, dass es sich deshalb jeweils um den letzten Krieg handelt, dessen Führung keine Präzedenzwirkung mehr hat.
Dass die Ideologen sich damit in die eigene Tasche lügen, wurde mir bald nach dem Zweiten Weltkrieg klar. Ein Krieg mit der Sowjetunion war in den Bereich des Denkbaren gerückt. Die Atombombe war geeignet, für den Fall eines solchen Krieges die konventionelle Überlegenheit der Russen zu kompensieren. Ihr eventueller Einsatz war deshalb Bestandteil der NATO-Planung. Die Flächenbombardements der deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg hatten einen solchen Einsatz schon psychologisch vorbereitet. Sie machten mit vielen Bomben das, was in Hiroshima und Nagasaki mit zwei Bomben geschah.
Konrad Adenauer spielte damals die Gefahr herunter, indem er die Atombombe als »erweiterte Artillerie« bezeichnete, was wiederum den Protest einiger prominenter Physiker, darunter Carl Friedrich von Weizsäcker, provozierte. Innerhalb der katholischen Kirche entbrannte eine heftige Diskussion um die Frage, ob ein atomar geführter Krieg nicht nach der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg unvermeidlich ein ungerechter Krieg werde, denn zum gerechten Krieg gehört die Respektierung des
Ius in bello
, das die massenweise Tötung unbewaffneter Bürger ausschließt. Die Atombombe erlaubt eine solche Unterscheidung nicht, jedenfalls tat sie es damals nicht.
Die Toten in Hiroshima und Nagasaki als »Kollateralschäden« zu bezeichnen wäre ja wohl blutiger Hohn. Aber eben dies taten damals sieben führende deutsche Moraltheologen in einer öffentlichen Erklärung, in der der Atomkrieg verteidigtwurde. Von den deutschsprachigen Bischöfen war es meiner Erinnerung nach nur der damalige Bischof von Innsbruck Paulus Rusch, der die Gegenposition vertrat.
Die Rechtfertigungsfront wurde unter anderem verstärkt durch einen Aufsatz des deutschen Jesuiten Gustav Gundlach, den engsten Berater Papst Pius’ XII. in sozialpolitischen Fragen. Er trat damals in einem Hochland-Aufsatz hervor, in welchem er einschlägige Äußerungen des Papstes entsprechend interpretierte. Nach dieser Interpretation sollte es sich um eine Frage der Güterabwägung handeln. In der Reihe der Güter bzw. Werte stehe aber die Freiheit oben an, und ihre Verteidigung rechtfertige daher auch den Einsatz dieser Waffe.
Mein Freund Ernst-Wolfgang Böckenförde und ich traten Gundlach damals entgegen und zeigten die Unhaltbarkeit seiner Papst-Exegese. Auch die Stellung eines Papstvertrauten dispensiert nicht von den Regeln einer korrekten und logisch konsistenten Interpretation päpstlicher Dokumente.
Die Liaison von Kirche und CDU war damals noch eng. Ich hatte diese Liaison auf dem Kölner Katholikentag von 1956 in einer Rede über die Kirche als Zeichen des Widerspruchs kritisiert, obwohl ich in den meisten damals aktuellen Fragen, so beispielsweise, ob die Abtreibung legalisiert oder Konfessionsschulen eingerichtet werden sollen, die Position der CDU teilte.
Ich war allerdings stets der Auffassung, dass die Kirche zwar von ihren Gläubigen die Zustimmung zu zentralen moralischen Positionen der Kirche und das öffentliche Bekenntnis zu ihnen verlangen kann, nicht jedoch den Gläubigen ihre Präferenzen in Bezug auf die zur Wahl stehenden parteispezifischen Programmpakete vorschreiben darf.
Was nun die atomare Bewaffnung betrifft, so wurde uns – meinen Freunden Heinrich Böll, dem Dissidenten-BundestagsabgeordnetenPeter Nellen, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele usw. – vorgehalten, diese Waffe sei ja nicht zur Anwendung, sondern zur
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