Ueber Gott und die Welt
die mit Hegel zu ihrer Vollendung kommt.
Zu meiner Studienzeit hieß eine Parole: Man kann nicht hinter Kant zurück. Wie war es bei Ihnen in den fünfziger Jahren?
Der Slogan, man könne hinter irgendetwas nicht zurückgehen, ist eine Mode-Vokabel, die mich immer zum Widerspruch reizt. In der katholischen Kirche wird oft gesagt: »Hinter das Zweite Vatikanische Konzil kann man nicht zurück!« Dabei wollte ja dieses Konzil gerade hinter einige neuere Traditionen zu einer älteren zurückgehen. Danach wird dekretiert, das sei nun definitiv, habe als Wahrheit zu gelten und diene als Basis für alle weiteren Schritte.
Aber tatsächlich verhält es sich so, dass der Fortschritt in der Philosophie wie in der Theologie immer in einem Zurückkommen auf Früheres besteht. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass der jeweils nächste Schritt nie restlos integriert, was vorher gedacht wurde.
Fortschritt in der Philosophie stellt man sich ja an sich so vor, dass eine neue Erkenntnis die vorherigen alle in sich enthalten muss. Sie verhält sich nicht einfach kritisch negativ zu ihnen, sondern sie macht den Anspruch geltend, die vorherigen zu integrieren.
Der Streit der Philosophen ist oft ein Streit darüber, wer wen integriert. Sind Vorläufer nicht noch etwas mehr als Vorläufer? Diese Integrationsversuche gehen nie restlos auf. Es bleibt immer ein Rest von dem, was angeblich überwunden ist, der aber irgendwann plötzlich eine Eigendynamik entfaltet, die die frühere Rezeption desavouiert.
Hegel hat in seiner Philosophie versucht, die Systeme Kants, Fichtes und Schellings zu integrieren, und seinen eigenen Versuch als Schlusspunkt einer gedanklichen Entwicklung gesetzt. Wäre das ein Beispiel für einen übermäßigen Anspruch?
Ja, der Versuch, die drei Vorgänger vollständig zu integrieren, ist nicht aufgegangen, wie wir heute sehen. Philosophischer Fortschritt ereignet sich ja nicht wie der Fortschritt in den empirischen Wissenschaften in linearen Schüben. Er besteht vielmehr in einem immer neuen Zurückkommen auf den Rest, der eben nicht gänzlich integriert, dessen Potential nicht gänzlich ausgeschöpft wurde. Eine Bewegung, die sowohl ein Vorwärtsgehen als auch zugleich ein Rückkehren bedeutet, charakterisiert das Philosophieren.
In Martin Heideggers Denken lässt sich dieser Vorgang deutlich zeigen. So hat für ihn Platon die ältere griechische Philosophie nicht einfach »aufgehoben« – im Hegel’schen Sinn des Wortes. Die Schritte, die Platon weitergeht, lassen etwas zurück, das ungedacht bleibt.
Ähnlich verhält es sich in der Religion. Die Reformation verstand sich ja nicht als Neuerung, sondern als ein Zurückkehren zu den Quellen, den Schriften des Evangeliums. Alle bisherige Geschichte erscheint ihr als eine Geschichte der Verfälschung des Ursprungs. Darum will sie auf den Ursprung selbst zurückgehen. Was sie dann dabei in Wirklichkeit hervorholt, ist allerdings nicht der Ursprung selbst, das Evangelium selbst, sondern nur eine neue Auslegung des Ursprungs, der zugleich auch eine weitere Entfernung von ihm ist.
In meiner Vorlesung über die Einführung in die Philosophie – ich habe sie mehrfach gehalten und immer wieder überarbeitet – habe ich dieses Thema des »Aufhebens« behandelt. Der Grundgedanke ist folgender: Es gibt drei Ursprüngein der Philosophie, von denen jeder als Ausgangspunkt einer Integration des Ganzen der Realität aufgefasst wird. Es ergeben sich drei Weisen der Integration, drei Formen der »Ersten Philosophie«, drei Weisen des »Umgreifenden«, wie Jaspers sie nennt. Es gibt den Anfang mit dem Sein, den Anfang mit dem Bewusstsein und den Anfang mit der Sprache. Sie folgen in der Geschichte zeitlich aufeinander.
Nun kann man aber zeigen, dass etwa der Schritt von der klassischen Ontologie zur Bewusstseinsphilosophie nicht das, was im Gedanken des Seins gedacht wurde, wirklich aufhebt. Bewusstsein ist einerseits das Ganze, Sein ist ein Gedanke. Andererseits aber ist Bewusstsein ein Vorkommnis in der Welt, ein Seiendes, das zu einer bestimmten Zeit der Geschichte unseres Planeten auftaucht. »Sein« ist einerseits ein Gedanke, andererseits aber meint es: ein Jenseits des Gedachten.
Mit dem Umgreifenden der Sprache verhält es sich genauso. Man kann sagen, die Sprachphilosophie habe die Bewusstseinsphilosophie aufgehoben. Aber kann es Sprache ohne Bewusstsein geben? Ist nicht vielmehr Sprache ohne Bewusstsein ein
flatus vocis
? Den Gang der Philosophie sollte man, so
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