Ueber Gott und die Welt
gewissermaßen als Spitze der dogmatischen.
Dahinter steht folgender Gedanke: Es gibt einen Stufenweg des Menschen bis zur Vereinigung mit der Gottheit.
Itinerarium mentis ad Deum
lautet der Titel einer Schrift von Bonaventura. Auf diesem Stufenweg spielt zunächst die so genannte »Meditation« eine große Rolle, im Unterschied zur Kontemplation.
Meditation bedeutet das Durchdenken, Durchfühlen, Durchleben bestimmter begrifflicher oder anschaulicher Inhalte, so werden etwa die einzelnen Stadien des Lebens Jesu oder seine Worte meditiert. Wenn jemand diese Praxis derMeditation über lange Zeit hinweg durchhält, fließen allmählich diese einzelnen Inhalte immer mehr zusammen. Es kommt dann nur noch auf das eine Resultat an: die Vereinigung mit der Gottheit. Die Meditation mündet in die Kontemplation.
Also »negative Theologie«?
Ja, alles Bestimmte, was man von Gott sagen kann, lässt sich auch negieren. Zum Beispiel kann man sagen, Gott ist Licht, oder auch, er ist Dunkel. Allerdings sagt Thomas von Aquin, dass die Prädikate, die man auf Gott bezieht, zwar alle nur metaphorisch zu verstehen sind, dass es aber dennoch Metaphern gibt, welche die Sache selbst besser treffen als andere.
Nehmen wir die Metaphern »Licht« und »Dunkel«. Thomas sagt dazu, beide sind nicht symmetrisch. Man kann zwar sagen, »Gott ist Licht«, und danach die Aussage negieren. Was wir als Licht wahrnehmen, sind ja nur beleuchtete Gegenstände, nicht das reine Licht. Zugunsten des reinen Lichts werden nun die einzelnen Inhalte negiert. Was aber bleibt dann übrig? Es stellt sich zunächst das Gefühl der reinen Dunkelheit ein. Wer aber den Schritt tut und alle Dinge der Anschauung wirklich hinter sich lässt, um den wird es plötzlich helles Licht.
Thomas sagt nun, die Metapher der Dunkelheit kann man zwar für Gott verwenden, aber man muss sie sogleich wieder negieren, denn Gott ist natürlich nicht in Wirklichkeit dunkel. Dagegen muss man die Licht-Metapher nicht negieren. An ihr kann man festhalten und sagen, Gott ist nicht Nicht-Licht. Die Lichtmetapher ist eigentlich gar keine Metapher. In den Worten »Klarheit« oder »klarwerden«, »einleuchten«, »einsehen« usw. wird das Helle genauso ursprünglich bezeichnet wie in dem optischen Phänomen. »Es werde Licht« spricht Gott bekanntlich, ehe er die physischen Lichter erschafft.
Bei Thomas von Aquin gibt es den Begriff der
cognitio
experimentalis Dei
. Kann derjenige, der die »erkennende Erfahrung Gottes« macht, sich darauf berufen, Gott direkt oder unmittelbar erfahren zu haben und damit der Last eines Gottesbeweises enthoben zu sein?
Alle großen Mystiker schildern ihre Erfahrung, ihren mystischen Zustand als etwas Vorübergehendes, über das sie eigentlich nicht sprechen können. Der Apostel Paulus, der ja ein Mystiker war, spricht einmal davon, dass er in den dritten Himmel versetzt worden sei. Er sagte: »Ich weiß nicht, ob im Leib oder außerhalb des Leibes. Ich kann es nicht sagen. Und ich hörte Worte, die niemand aussprechen darf.«
Das heißt doch, der Mystiker, der seine Erfahrung gar nicht ausdrücken kann, negiert eigentlich nicht das, was der begrifflich argumentierende Theologe behauptet. Er widerspricht ihm nicht. Aber es spielt keine Rolle mehr.
Plotin erläutert in seinen »Enneaden« immer wieder, dass der Aufstieg der Seele zum Einen noch in diskursiver Sprache mitgeteilt werden kann, nicht aber der kurze Moment der Vereinigung mit dem Einen. Gilt dasselbe auch für christliche Mystiker?
Ja, so kann man sagen. Aber es bleibt natürlich auch die Frage, wie weit der Mensch der mystischen Erfahrung nicht doch in einer Illusion gefangen ist und wiem weit eben doch sein eigenes Ich eine Rolle spielt, wenn er sagt: »Ich habe eine Erfahrung Gottes, ich habe einen unmittelbaren Zugang zu Gott, den andere nicht haben.«
Wenn er so weit geht, dann ist alles schon verdorben. Der wirkliche Mystiker beruft sich ja nicht auf seine Erfahrung, sie ist für ihn keine Berufungsinstanz. Er kann sie nicht in einen Diskurs einbringen. Vielmehr erlebt er seinen Zustandals eine Phase des Verschwindens des eigenen Ichs im Einen und nicht als Behauptung des eigenen Ichs.
Die heilige Teresa von Avila hat sich diesem Problem der mystischen Erfahrung gestellt und gefragt: »Ist das vielleicht alles eine Illusion?« Sie hatte ja konkrete Erscheinungen. Sie war keine Mystikerin vom Typus Meister Eckhart, der nur den Aufstieg zum Einen kennt. Sie hatte zum Beispiel
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