Ueber Gott und die Welt
Erscheinungen Jesu, und sie stellte die Frage: »Wie kann ich wissen, ob das nicht Vorspiegelungen des Teufels sind, der mich auf einen Irrweg führen will?«
Diesen Gedanken hat übrigens Descartes von Teresa von Avila übernommen. Den möglichen Täuschegeist nennt er
genius malignus
, und er drückt seine Sorge in der Frage aus: »Könnten nicht auch meine evidenten Erkenntnisse nur Vorspiegelungen eines bösen Geistes sein?« Seine Antwort darauf war von großer Tragweite für die Philosophie der Neuzeit: Es gibt etwas, da kann mich auch der Teufel nicht täuschen, nämlich, dass ich denke.
Die Antwort der heiligen Teresa auf den Zweifel war eine andere: Die Vision muss mit dem Evangelium und der Lehre der Kirche übereinstimmen. Und darum muss ich sie meinem Beichtvater mitteilen. Das letzte Urteil darüber, ob meine Erfahrung authentisch ist oder nicht, muss ich abtreten. Sie kann nicht solipsistisch sein. Das Wahrheitskriterium kann nicht in mir selbst liegen.
Wenn Jesus mir in einer meiner Erscheinungen etwas sagen würde, was dem Evangelium widerspricht, dann wüsste ich, es ist eine Täuschung. Beide finden zur Gewissheit: Descartes in der Reflexion, im
cogito ergo sum
, im Faktum, dass »ich denke«; und Teresa von Avila in einem Gehorsam, der die mystische Erfahrung zurückbindet an eine Intersubjektivität, die den Solipsismus ausschließt. Beide sehen sich in je verschiedener Weise auf der sicheren Seite.
Geht die Auseinandersetzung zwischen Fénelon und Bossuet nicht um das Thema der Teresa von Avila? Wirft Bossuet seinem Widerpart nicht vor, durch dessen Verteidigung der Mystikerin Madame Guyon gegen die Lehre der Kirche zu verstoßen? Und hält Fénelon seinerseits nicht daran fest, nicht mit der Kirche zu brechen, sondern in Einklang mit ihrer Tradition zu argumentieren?
In der Tat hat Papst Innozenz XII. – aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses einer Kardinalskommission – das Büchlein von Fénelon »Die Maximen der Heiligen« und die darin enthaltene Argumentation für den »amour pur«, die gänzliche Uneigennützigkeit der Gottesliebe, verurteilt, nicht ohne Bossuets Betreiben.
Klassisch ist der Kommentar, den der Papst gesprächsweise zu der Angelegenheit gab:
Erravit Cameracensis excessu amoris dei. Peccavit Meldensis defectu amoris proximi.
»Der Bischof von Cambrai hat geirrt durch Übertreibung der Gottesliebe. Der Bischof von Meaux hat gesündigt durch Mangel an Nächstenliebe.«
Aber wie ist Fénelon mit dieser Verurteilung umgegangen? Er zieht sich auf die Feststellung zurück, dass die Schriften, die er zur Verteidigung seiner »Maximen« geschrieben hat, nicht verurteilt wurden. Hier konnte Fénelon auf eine Theorie zurückgreifen, die er in der Auseinandersetzung mit seinen Hauptgegnern, den Jansenisten, entwickelt hatte. Die Jansenisten, Arnauld und Pascal, beklagten sich, dass Rom sie zur Verurteilung von fünf Sätzen des längst verstorbenen Jansenius nötigen wolle, die sich aber in dessen Werk gar nicht finden. Fénelon schrieb damals: Wenn die Kirche nicht beanspruchen könne, ein Buch richtig zu interpretieren, könne sie gar keine Häresie mehr beurteilen. Der Verurteilte könne immer sagen, er sei falsch verstanden worden.
Was die Kirche tatsächlich nicht beurteilen könne, sei, so schrieb Fénelon, die Überzeugung und die Absicht eines Autors, der
sensus auctoris
. Wohl aber müsse sie ein Buch beurteilen können, und der Autor müsse es hinnehmen, wenn die Kirche den »offenkundigen Sinn«, den
sensus obvius
, beurteilt und in einzelnen Sätzen resümiert.
Diese Theorie wandte er nun auf sich selbst an: Die »Maximes des Saints« sind offenbar missverständlich. Ihr
sensus obvius
gibt aber den
sensus auctoris
nicht wieder, diesen
sensus auctoris
hat Fénelon in seinen Verteidigungsschriften unmissverständlich dargelegt, während er die restlichen Exemplare der Maximen unverzüglich einziehen und einstampfen ließ. Er werde sich, so verkündete er am Sonntag von der Kanzel seiner Kathedrale, von keinem seiner Schafe übertreffen lassen im Gehorsam gegen den Heiligen Stuhl.
Was hatte Fénelon gegen die Jansenisten?
Es war die Lehre von der »délectation supérieure«, also die Lehre, dass die Gnade, durch die der Mensch gerettet wird, sich daran zeigt, dass der Mensch an Gott und den göttlichen Dingen mehr Freude und Befriedigung findet als an der »Welt« und allem Weltlichen. Diese Lehre verkennt nach Fénelons Auffassung, dass Glaube und Gottesliebe das
Weitere Kostenlose Bücher