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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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glauben. Oder sie haben eine »konsumistische« Vorstellung vom ewigen Lohn. Aber schon im Alten Testament sagt Gott zu Moses: »Ich selbst werde dein Lohn sein.« Das heißt also, der Gedanke des Lohns, auch im Neuen Testament, meint nicht ein vom Geber ablösbares Konsumgut, sondern Gott selbst ist der Lohn. Für denjenigen, dem es gar nicht um Gott geht, mag das Wort »Ich werde dein Lohn sein« wie bloßes Gerede erscheinen.
    Aber jemand, der wirklich an Gott glaubt, für den gibt es nichts Größeres, als an der Seligkeit Gottes teilzunehmen. Nur, ich denke, heute motiviert die Menschen stärker der Gedanke einer präsentischen Eschatologie, wie er vor allenDingen im Johannes-Evangelium ausgeführt wird, der Gedanke, dass dieser Lohn schon unmittelbar mit einer guten Handlung verbunden ist.
    Sie haben Ihrer Habilitationsschrift den Titel »Reflexion und Spontaneität« gegeben. An einer Stelle führen Sie aus: Die Freisetzung menschlicher Spontaneität, um die es Fénelon geht, ist kein einfacher »Retour à la nature«, sondern ein Prozess, der durch die Reflexion notwendig hindurchgehen muss und in dem die pädagogische und geschichtsphilosophische Dialektik des Deutschen Idealismus strukturell und inhaltlich vorgebildet ist.
    Heinrich von Kleist hat in der kleinen Schrift »Über das Marionettentheater« die Beziehung zwischen Reflexion und Spontaneität sehr schön beschrieben. Ein Knabe zieht sich – in naiver Anmut – einen Dorn aus dem Fuß. Der Anblick erinnert an den berühmten Dorn-Auszieher. Der junge Mann sieht sich im Spiegel, bemerkt die Ähnlichkeit und versucht, die Geste zu wiederholen, was ihm aber nicht gelingt. Die Unmittelbarkeit geht durch die Reflexion verloren. Und Kleist sagt dann, die Reflexion, das Bewusstsein muss »durch ein Unendliches gegangen sein«, um die Anmut zurückzugewinnen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die ursprüngliche Spontaneität nicht erhalten werden kann, denn in dem Moment, da man an ihr festzuhalten versucht, ist sie schon nicht mehr Spontaneität. Es gibt kein Zurück zur Naivität.
    Diese Einsicht gilt für Fénelon, aber auch für Rousseau, der ja selbst nie von einem »Retour à la nature« geschrieben hat. In Hegels Deutung des Sündenfalls findet sich dieselbe Einsicht.
    Lässt sich diese Einsicht auch auf das Problem der mystischen Erfahrung beziehen?
    Ja, für den Mystiker gibt es in der kurzen Zeit seiner mystischen Erfahrung keine Reflexion. Hier ist reine Spontaneität. Aber sie kann man nicht festhalten.
    Kommt der Mystiker je zu dem Moment zurück, den er nicht festhalten konnte, wenn er über seine Erfahrung reflektiert?
    Das ist die Frage. Wir kennen doch das Bild des Stieres von Picasso, das durch eine Folge von immer radikaleren Abstraktionen geht, bis nur noch ganz elementare Umrisse übrigbleiben. Man könnte sich jetzt vorstellen, Picasso ginge noch einen Schritt weiter und die weiße Leinwand sei wieder da, alle Umrisse getilgt.
    Stellen wir uns nun einen Künstler vor, der in seinem Zimmer eine große Leinwand hängen hat, auf der nichts zu sehen ist. Für ihn aber enthält die Leinwand eine ganze Geschichte, an die er sich erinnern kann. Wenn wir diese seine Geschichte nicht kennen, nicht ahnen, was den Künstler dahin geführt hat, eine weiße Leinwand übrigzulassen, dann sehen wir nichts als die weiße Leinwand.
    Von Wittgenstein stammt der Satz, man müsse, einmal angekommen, die Leiter wegwerfen, mit der man an die Grenzen des sprachlich Ausdrückbaren gelangt sei. Mein Einwand ist: Wenn ich die Leiter wegwerfe, mit der ich hinaufgestiegen bin, und nicht in Erinnerung behalte, wie ich hinaufkam, dann bin ich wieder da, wo ich vorher war.
    Diese Leinwand ist also so lange wichtig und bedeutungsvoll, wie jemand da ist, der die Geschichte der Leinwand kennt. Erinnert sich niemand mehr sich daran, dann gilt die wieder hergestellte weiße Leinwand so viel wie eine nie bemalte. Alles hängt daran, ob die Erinnerung festgehalten wird.
    Das ist übrigens auch bei der christlichen Meditation nicht anders. Die einzelnen meditierten Gehalte lösen sich am Ende in der Kontemplation, der reinen Betrachtung der einen Gottheit, auf. Wodurch unterscheidet sich dieser Zustand, in dem alles wegfällt, von demjenigen der Verblödung, in dem man gar nichts mehr wahrnimmt? Doch nur durch die Erinnerung. Die Leiter kann man nicht wegwerfen.
    Drückt sich in der Betonung der Erinnerung eine gewisse Reserve des Philosophen gegenüber dem Mystiker

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