Ueber Gott und die Welt
diente der Ausarbeitung einer bestimmten Position, nicht der Begründung dieser Position selbst. Als Reinhart Maurer, damals Assistent an meinem Lehrstuhl, der den kontroversen Charakter meiner Seminare kannte, einmal zu Bense ging und um die Aufnahme in ein Seminar bat, stellte er die Frage: »Herr Professor, sind Sie auch an Widerspruch interessiert?« Benses Antwort war: »Wir treiben hier Wissenschaft. Und wer sich auf unsere Voraussetzungen nicht einlässt, braucht nicht dazuzukommen.«
Mein letztes Gespräch mit Max Bense drehte sich seltsamerweise um dasselbe wie unser erstes. Bense rief mich eines Tages an, weil der Landtag sich erneut mit ihm befasst hatte. Bense hatte ein gescheitertes Attentat auf Papst Paul VI. in seiner Vorlesung verteidigt. Der Papst sei ein geistiger Tyrann, und Tyrannenmord sei zu rechtfertigen. Der Landtag befasste sich mit seiner Billigung des Attentats, und es tauchte die Forderung nach Benses Entlassung auf. Bense sagte mir am Telefon:
»Spaemann, wat soll ich denn machen? Ich brauch doch dat Geld.«
Meine Antwort war: »Bense, schreiben Sie in einer Stuttgarter Zeitung oder auch in einem Schreiben an den Landtag, Sie hätten den Tyrannenmord verteidigen wollen und sich leider im Beispiel vergriffen. Ich glaube, das genügt, damit die Leute sich wieder beruhigen.«
Bense sagte, er wolle das tun. Soviel ich mich erinnere, hat er es auch getan.
In den Jahren, als Sie an der Technischen Hochschule in Stuttgart lehrten, nahmen Sie die Gelegenheit wahr, nach Brasilien zugehen. Was hat Sie daran gereizt?
Es war die Einladung der Katholischen Universität in Rio de Janeiro zu einer dortigen Gastprofessur. Es handelte sich um kein Sabbatical, sondern ich wurde im Jahr 1965 von der Hochschule in Stuttgart freigestellt und ohne Bezüge beurlaubt, um die brasilianische Einladung wahrzunehmen. Die Universität zahlte mir das Gehalt.
In welcher Sprache haben Sie unterrichtet?
Damals war es noch möglich, auf Französisch Seminare zu halten. Die Studenten der PUC beherrschten die Sprache. Viele Jahre später, als ich nach Brasilien zurückkam, verstanden die Zuhörer nur noch Portugiesisch und Englisch. In meiner Zeit in Rio lernte ich langsam auch ein wenig die Landessprache, so dass ich am Schluss meines Aufenthalts meinen Unterricht auch in Portugiesisch abhalten konnte.
Brasilien zählt heute zu den wirtschaftlichen Schwellenländern. Aber damals war es doch mehr ein Entwicklungsland. Wie waren Ihre Eindrücke?
Die sozialen Spannungen in diesem Land konnte man nicht übersehen, ja, ich habe mich in sie hineinziehen lassen. Mich beeindruckte der große Pädagoge und Autor Brasiliens, Paulo Freire (1921–1991). Er hatte Mitte der sechziger Jahre ein Alphabetisierungsprogramm entwickelt, das nicht nur den raschen Erwerb von Lesen und Schreiben ermöglichen, sondern auch ein Bewusstsein über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse schaffen sollte.
Damals wurden in Brasilien Analphabeten nicht zur Wahl zugelassen. Alphabetisierung bedeutete demnach Demokratisierung. Freire und seine Leute, mit denen ich zusammengetroffenbin, hatten eine genial gemachte, reich bebilderte Fibel, das Herzstück des Alphabetisierungsprogramms »Viver é lutar«, unter die Menschen gebracht.
Zurück in Deutschland habe ich zusammen mit meiner Frau darüber ein Feature im Rundfunk gemacht. Die Fibel war natürlich latent revolutionär. Sie politisierte. Freires Kampf für die Alphabetisierung war zugleich eine Befreiungsbewegung. Über den engen Kontakt zu dessen Leuten habe ich viel über diese Befreiungsbewegung gelernt.
Hat Sie dieser enge Kontakt nicht in Schwierigkeiten mit Brasilianern der etablierten Schichten gebracht?
Ja, ich bewohnte mit meiner Familie ein wunderbares Landhaus in den Bergen nahe Petropolis, 60 Kilometer nördlich von Rio. Plötzlich war der Traum vorbei, wir mussten Knall auf Fall das Haus verlassen. Uns wurde vorgeworfen, wir hätten die Angestellten gegen ihre Patrone aufgewiegelt.
Das war zwar unwahr, aber nicht ohne fundamentum in re. Das Haus lag in einer Siedlung von Landhäusern reicher Bürger aus Rio. Außerhalb der Urlaubszeit lebten in dem Dorf nur die kinderreichen teils weißen, teils schwarzen Angestellten – meist auf sehr engem Raum. Ich will hier nicht auf die soziologisch interessanten Details eingehen.
Tatsache ist, dass wir und unsere Kindern mit den Angestellten und ihren Kindern recht familiären Kontakt pflegten, ohne übrigens
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