Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
Vom Netzwerk:
Brot.
    Geheiratet hatte ich schon ein halbes Jahr zuvor. Dass ich seither im Stande war, eine Familie zu ernähren, und zwar mit Tätigkeiten, die mir Freude machten, hat mich immer neu erstaunt. Ich konnte es nie in Beziehung bringen zu derVorstellung, irgendwelche besonderen Kompetenzen von allgemeinem Nutzen zu besitzen. Und übrigens drückte meine Frau auch öfter bei einem Großeinkauf von Lebensmitteln ihr dankbares Erstaunen darüber aus, dass wir nicht nur ein eigenes Dach über dem Kopf hatten, sondern auch kaufen konnten, was immer wir zum Leben brauchten. Ein Fernseher gehörte übrigens nie dazu. Auch mussten wir oft gegen Ende des Monats beim Lebensmittelhändler anschreiben lassen. Aber was macht das, wenn man doch eine Woche später wieder quitt ist? Mein Gehalt war knapp, aber meine Arbeitsbedingungen so, dass sie mir philosophische Arbeit daneben ermöglichten.
    Was den Dank betrifft, so mag sich der Verlagsleiter gewundert haben, wenn ich zu Beginn des neuen Jahres bei ihm vorstellig wurde, um mich für das Weihnachtsgeld zu bedanken. Mir machte es Vergnügen – wie es mir schon beim Reichsarbeitsdienst Vergnügen gemacht hatte –, »danke« zu sagen, wenn man mir einen dienstlichen Gegenstand, einen Spaten oder ein Gewehr aushändigte, entgegen allem militärischen Comment. Mir trug das öfter den Anraunzer »Spaemann, der Halbzivilist« ein. Aber ich leistete mir gern diese kleine Provokation, die ja nun wirklich nicht strafbar gemacht werden konnte.
    Nachdem der Verlagsleiter den Kohlhammer-Verlag verlassen hatte, suchte ich nach einer Möglichkeit, zur Universität zurückzukehren und mich zu habilitieren, als mich das Angebot einer Assistentenstelle beim neu berufenen damaligen Professor für Pädagogik in Münster, Ernst Lichtenstein, erreichte. Joachim Ritter hatte mich ihm empfohlen. Unter der Bedingung, dass ich mich in Pädagogik und Philosophie habilitieren könne, nahm ich die Stelle an, und wir übersiedelten wieder nach Münster.
    Pädagogik hatte ich bisher niemals studiert. Aber Lichtenstein, wie er mir bekannte, auch nicht. Ich musste es nunnachholen. Zwei Jahre später allerdings hielt ich dann schon zeitweise pädagogische Proseminare für mehrere hundert Studenten. Eine Absurdität, aber anders ließ sich das obligatorische Pädagogicum von Lehramtskandidaten nicht bewältigen. Zwischen 1956 und 1962 absolvierte ich dieses nachgeholte Studium, hielt Lehrveranstaltungen, assistierte meinem Professor und schrieb meine Habilitationsarbeit über Fénelon.
    Wenige Monate nach der Habilitation erreichte mich die Einladung des damaligen Leiters der geisteswissenschaftlichen Abteilung der Technischen Hochschule Stuttgart, Golo Mann, zu einem Vortrag, und wenige Wochen später der Ruf auf einen neu gegründeten Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik dieser Hochschule. Die TH Stuttgart hatte damals eine zwischenzeitlich so genannte C3-Professur für Philosophie. Ihr Inhaber war Max Bense. Bense nannte sich selbst einen existentiellen Rationalisten. Das intellektuelle und künstlerische Leben im Stuttgart der fünfziger und sechziger Jahre war von Bense stark geprägt. Im Rahmen des Studium Generale der TH, das er leitete, gab es eine bemerkenswerte Kunstgalerie, einen wichtigen Spiegel der damaligen avantgardistischen Bestrebungen.
    Rationale Philosophie, das war für Bense vor allem Logik, Wissenschaftstheorie und eine Ästhetik, die versuchte, das, was Kant »begriffloses Wohlgefallen« nennt, auf den Begriff zu bringen, anknüpfend an Birkhoffs Versuch in den zwanziger Jahren, ein exaktes informationstheoretisches Maß für ästhetische Qualität zu entwickeln. Empirische Untersuchungen haben zwar ergeben, dass dieses Maß keineswegs den ästhetischen Urteilen der meisten Menschen zugrunde liegt. Aber die ästhetischen Urteile der meisten Menschen gehören eben noch zu der nicht rational durchgearbeiteten Welt. Ihnen gegenüber hat die Theorie eher postulatorischen Charakter. Die nach ihrer Anweisung hergestellte Kunst gehörtzum Postulat einer humanen Welt, die nach Benses Ausspruch »erst eine vollständig mathematisierte und asphaltierte Welt« sein wird.
    Die einer solchen durchrationalisierten Welt entgegenstehenden Mächte sind Natur und Geschichte. Rationalismus war für Bense eine nicht weiter begründbare, insofern also irrationale Lebenshaltung. Kants Postulat der Verallgemeinerungsfähigkeit von Handlungsmaximen, der sogenannte Kategorische Imperativ, war für Bense

Weitere Kostenlose Bücher