Ueber Gott und die Welt
auf die soziale Situation zu sprechen zu kommen. Andererseits hatte ich mich immer bemüht, möglichst loyal zu unseren Vermietern zu sein. Aber das reichte nicht. Unsere Lebensgewohnheiten, auch unser Umgang mit einfachen Leuten waren anders als die ihren. Das allein schon sorgte für sozialen Sprengstoff. Die Hausbesitzer hatten die anderen Grundbesitzer des Tales vor uns gewarnt.
Die Angestellten, die den Grund unseres plötzlichen Weggangssofort ahnten, kamen wenige Tage später triumphierend mit einer neuen Bleibe: Ein Brigadegeneral mit großer Familie, der nicht zu der Society gehörte, vermietete uns für den Rest der Zeit sein uriges Landhaus.
Wie kam es, dass Sie 1969 auf den Lehrstuhl von Hans-Georg Gadamer, damals wohl die herausragende Figur des deutschen Philosophie, in Heidelberg berufen wurden?
Es war eine große Überraschung für mich. Zur Vorgeschichte gehört, dass ich meine Professur in Stuttgart zwar zu schätzen wusste, aber doch auch nach etwas anderem Ausschau hielt. An der Hochschule, wie gesagt, fehlten mir echte Philosophiestudenten und Schüler.
Nun hatte ich aus Brasilien die Psittakose, die Papageienkrankheit, mitgebracht und war ein halbes Jahr außer Gefecht gesetzt. Deswegen konnte ich zwei Rufe nicht annehmen, die mich in dieser Zeit erreicht hatten. Bei dem einen handelte es sich um die ordentliche Professur für Philosophie und politische Theorie an der Universität Zürich, die dann mein Freund Hermann Lübbe annahm.
Bei dem anderen Ruf ging es um einen Lehrstuhl der Universität Hamburg, den Carl Friedrich von Weizsäcker mit mir besetzen wollte. Beide Aussichten hatten sich wegen meines schlechten Gesundheitszustands zerschlagen.
Da kam eines Tages im Jahr 1968 Dieter Henrich zu mir nach Stuttgart, machte mit mir einen Spaziergang und fragte mich, ob ich daran interessiert wäre, an einen Lehrstuhl der Universität Heidelberg zu wechseln. Es handele sich um die Nachfolge Hans-Georg Gadamers, der 1968 emeritiert werde. Dieter Henrich war damals die für die Berufungen im Fach Philosophie wichtigste Figur der Heidelberger Universität.
Den Lehrstuhl, den immerhin Karl Jaspers und Hans-Georg Gadamer innehatten, mit einem jungen Professor, der noch nicht viel publiziert hatte, zu besetzen, war das nicht ungewöhnlich? Was bewog Ihrer Meinung nach Dieter Henrich zu dem Schritt?
Ich vermute, es waren bestimmte Dinge, die seine Aufmerksamkeit auf mich lenkten und die in sein eigenes Interessenfeld passten. Vor allem mein Fénelon-Buch hatte es ihm angetan, meine Art der Interpretation. Die ihn sehr beschäftigende Selbstbewusstseinsproblematik hatte ich um eine wichtige Dimension ausgebreitet.
Zum Teil stieß er auch auf Gebiete, in denen er sich nicht so auskannte, die aber für ihn von hohem Interesse waren. Dann waren es einige Aufsätze, die ihm aufgefallen waren, darunter »Genetisches zum Naturbegriff des 18. Jahrhundert«, zuerst veröffentlicht im Archiv für Begriffsgeschichte und später in »Rousseau – Bürger ohne Vaterland« wiederabgedruckt. Die ganze von mir aufgeworfene Teleologie-Problematik berührte ihn stark. Er und Hans Blumenberg waren eigentlich die Einzigen, die sich mit dem Thema »Inversion der Teleologie«, wie ich es im Fénelon-Buch genannt habe, auseinandergesetzt hatten. Also Henrich, glaube ich, fand einfach, das, was ich machte, füge sich in das Spektrum der Philosophie in Heidelberg. Es sei hinreichend verschieden, um einen wünschenswerten Pluralismus zu garantieren, und hinreichend verwandt, um den Pluralismus fruchtbar werden zu lassen.
Mir wiederum hatte Henrich seit Langem durch seine philosophische Resistenz imponiert, durch den Mut und die geistige Kraft, mit der er eine vom Deutschen Idealismus inspirierte Position entwickelte, und dies auf der Höhe der ganz anders orientierten Bestrebungen der Gegenwart, vor allem auch der Analytischen Philosophie. Henrich hat wirklich imLaufe von Jahren »die schwächere Sache wieder einmal zur stärkeren gemacht«. Das gelang umso besser, als es unterstützt wurde durch die Gelehrsamkeit seiner historischen Rekonstruktion der Genese des Deutschen Idealismus, insbesondere der Stellung Hölderlins in diesem Kontext. So war ich froh, Henrich später, als ich in München war, zum Wechsel nach München bewegen zu können.
DIE 68ER JAHRE
Das Jahr 1968 erlebte ich in Stuttgart, also nicht im Zentrum revolutionärer Umtriebe wie Frankfurt oder Heidelberg. Nach Heidelberg ging ich erst 1969. Was
Weitere Kostenlose Bücher