Ueber Gott und die Welt
einer voll akademischen Pädagogik-Ausbildung für Grund- und Hauptschullehrer. Tatsächlich waren die deutschen Pädagogischen Hochschulen, wie sie nach dem Krieg in Deutschland eingerichtet wurden, eine optimale Antwort auf dieAnforderungen an künftige Lehrer. Das heißt, der Praxisbezug ist hier für das Fach selbst konstitutiv und nicht irgendeine Zusatzforderung.
Es hätte meines Erachtens eine sehr einfache Lösung des Problems gegeben, die lediglich den Staat vielleicht etwas mehr Geld gekostet hätte, nämlich die Gleichheit der Gehälter für Gymnasial- und Hauptschullehrer. Hinter der Forderung nach voll akademischer Ausbildung der Grund- und Hauptschullehrer stand die Ungleichheit der Bezahlung für beide Berufsgruppen. Die gleiche wissenschaftliche Ausbildung für beide sollte natürlich der Egalisierung der Gehälter dienen. Die einfachste Lösung wäre gewesen: Man hätte die Gehälter egalisiert, ohne die gleiche Ausbildungsdauer für beide Gruppen festzuschreiben. Damit wäre der Tatsache Rechnung getragen, dass die Lehrer beider Schularten über eine hohe Kompetenz verfügen müssen und dass ihre Verantwortlichkeit die gleiche ist. Die Belastung der Lehrer ist oft sogar in der Hauptschule größer als im Gymnasium. Mit dieser Lösung wäre mit einem Schlage eine halbe Bibliothek an erziehungspolitischer Literatur Makulatur geworden.
Was die Universität betrifft, so sind die Interessen von Professoren und die von Studenten im Prinzip nicht antagonistisch, sondern konvergieren mit einigen Einschränkungen: Die einen wollen lehren, die anderen wollen lernen. Das höchste Ansehen genossen deutsche Universitäten in einer Zeit, als es sich noch um reine Ordinarienuniversitäten handelte. Die Wissenschaft, die hier gelehrt wurde, haben Studenten in schlagenden Verbindungen ebenso studiert wie die jungen Revolutionäre.
Es lag keine Borniertheit in der universitätspolitischen Abstinenz der jungen linken Studenten nach dem Krieg. Wir betrachteten die Universität nicht unter dem Gesichtspunkt der Revolutionierung und Instrumentalisierung fürden Sozialismus. Wir lernten von unseren Professoren, was von ihnen zu lernen war, nämlich die »bürgerliche Wissenschaft« – in dem klaren Bewusstsein, dass es eine andere gar nicht gibt.
Eine Episode allerdings muss ich hier erwähnen, die mir nicht zur Ehre gereicht, weil es sich hier um einen öffentlichen Akt handelte und ich nicht möchte, dass er einfach unkommentiert in die Geschichte eingeht. Es war die Zeit der Notstandsgesetze. Diese Gesetze wurden nötig im Zusammenhang der Ablösung der alliierten Machtbefugnisse auf deutschem Territorium und der wieder zu gewinnenden vollständigen Souveränität. Zur notwendigen Ausrüstung eines souveränen Staates gehören Regelungen für den Notstand. Die Notstandsgesetze sollten die Bedingungen für die Ausrufung des Notstands und die limitativen und exekutiven Kompetenzen für diesen Fall regeln. Sie enthielten auch Bestimmungen für die innere Sicherheit, zum Beispiel für Telefonüberwachung, Postüberwachung und so weiter.
Es gelang den »Linken«, eine allgemeine Bedrohung der Bürgerfreiheit und die Gefahr des Faschismus an die Wand zu malen. Im ganzen Land fanden Demonstrationen statt. Die Stuttgarter beteiligten sich an der Kampagne. Da sie mir generell wohlwollten und meine Empfindlichkeit gegen Bedrohungen der Bürgerfreiheit kannten, wandten sie sich an mich mit der Bitte, bei einer Demonstration auf dem Marktplatz vor dem Stuttgarter Rathaus eine Rede zu halten.
Mein politologischer Kollege, Martin Greifenhagen, der mein Hausnachbar war und mit den Demonstrationen sympathisierte, bat mich dringend, die Einladung anzunehmen. Ich nahm sie an, und ich hielt die Rede – aus Eitelkeit.
Allerdings sagte ich nichts, was nicht meiner Überzeugung entsprach. Ich begründete in dieser kurzen Rede dieAuffassung, dass es in der Geschichte Unplanbares gibt, dass man für die Ausnahme nicht noch einmal wieder ausnahmslose Regeln statuieren kann. Natürlich muss eine Regierung Notstandspläne in der Schublade haben. Aber wenn der Notstand eingetreten ist, muss sich das zu Geschehende aus den Notwendigkeiten der Situation ergeben. Es handelt sich um die Stunde der Exekutive. Alles hängt davon ab, dass diejenigen, die in dieser Situation Autorität ausüben, dafür die sachliche Kompetenz und die moralische Integrität mitbringen. In demokratischen Wahlen muss es sich immer auch darum handeln, welcher
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