Ueber Gott und die Welt
ohne Bedeutung. In der Welt, wie sie ist, muss jeder sehen, wo er bleibt. Die vollendete wissenschaftliche Zivilisation dagegen erübrigt, wenn sie einmal existiert, moralische Anstrengungen. Und wer für diese Vision arbeitet, der kann, wie es Bense tat, die Institutsbibliothek als seine Privatbibliothek in seinem eigenen Arbeitszimmer aufstellen.
Die Studentenbewegung ignorierte Bense auf erstaunliche Weise. Ihm, dem Anhänger der Revolution von 1792 – also nicht nur 1789 –, konnte niemand nachsagen, er sei ein Reaktionär. Bense war »links« und fortschrittlich. Aber er war es, der mich über die KZs von Ho Chi Minh aufklärte.
Zu Benses Rationalismus gehörte der Atheismus. Als bekannt wurde, dass er die Theorie von der Sinnlosigkeit des Wortes »Gott« in seinen Vorlesungen vortrug, gab es im baden-württembergischen Landtag eine Debatte. Bense Lehrverbot zu erteilen, diese Vorstellung war zwar rasch vom Tisch, aber es tauchte der Wunsch nach einem Parallel-Lehrstuhl auf. Dieser wiederum war leichter aus der Taufe zu heben, wenn er in Verbindung mit Pädagogik gebracht wurde. Denn einen Pädagogik-Lehrstuhl gab es in Stuttgart noch nicht, obgleich es dort Lehramtskandidaten gab. Es wurde also ein solcher Parallel-Lehrstuhl errichtet, und zwar ein ordentlicher Lehrstuhl im Unterschied zu der Professur von Bense. Auf Vorschlag der Fakultät berief mich das Kultusministeriumauf diesen Lehrstuhl. Natürlich war mein Start in Stuttgart durch diese Umstände zunächst schwer belastet.
Bense musste die Errichtung des Lehrstuhls angesichts der Begleitumstände als Affront empfinden, und so war es auch. Was meine Annahme des Rufs betrifft, so war für mich entscheidend, dass der Lehrstuhl keinerlei weltanschauliche Bindung implizierte und dass meine Berufung kein Oktroi war, sondern dem Vorschlag der Fakultät entsprach, die mich an erster Stelle der Liste nominiert hatte.
Bei meinem Antrittsbesuch eröffnete mir der Dekan, dass Bense mich nicht zu sehen wünsche. Zu meiner Antrittsvorlesung vor überfülltem Auditorium Maximum über die zwei Grundbegriffe der Moral kam nicht nur er nicht, sondern er hatte auch all seinen Mitarbeitern untersagt, dorthin zu gehen. Ich begann meine Vorlesung mit einer kurzen Bemerkung, in der ich erklärte, alle Befürchtungen zerstreuen und alle Erwartungen enttäuschen zu müssen, ich würde hier künftig die Rolle eines »Anti-Bense« oder überhaupt des Propagators irgendeiner Weltanschauung spielen.
Um die Beziehung zu Bense aber zu normalisieren, tat ich Folgendes: Ich suchte ihn in seinem Institut auf. Um ihm keinen Gesichtsverlust gegenüber Mitarbeitern und Studenten zuzumuten, tat ich es abends nach seiner Vorlesung, wo ich vor der Tür des bereits geschlossenen Instituts auf ihn wartete. Er erschien dann auch nach einer Weile, sah mich und fuhr mich an:
»Was machen Sie denn hier?«
Ich antwortete: »Herr Bense, man sagt mir, Sie wollten mich nicht sprechen, aber ich möchte das doch gern von Ihnen selbst hören.«
Damit war das Eis gebrochen. Er nahm mich mit hinein ins Institut und in sein Zimmer, und wir unterhielten uns eine Weile über die Situation. Wir kannten uns ja aus meinerfrüheren Stuttgarter Zeit. Bense zeigte sich vor allem beleidigt durch die Tatsache, dass es sich hier um einen ordentlichen Lehrstuhl handle, während er nur eine AO-Professur habe. Ich sagte ihm, dass ich sofort versuchen würde, diese Situation zu ändern, was ich dann auch mit Erfolg tat. Benses Professur wurde ebenfalls in einen ordentlichen Lehrstuhl umgewandelt. Insofern profitierte also Bense indirekt von der Errichtung des neuen Lehrstuhls und von meiner Berufung.
Am Ende des abendlichen Gesprächs war Normalität im Verhältnis zwischen Bense und mir hergestellt, wenn es auch noch nicht das Ende jeder Animosität war, vor allem bei Benses Mitarbeitern und Schülern, die immer etwas von einer konspirativen Gruppe an sich hatten, denen aber, wie ich erfuhr, Bense später über den Mund fuhr, wenn sie glaubten, durch abfällige Bemerkungen über mich bei ihm zu punkten.
Streit gab es eigentlich nur noch einmal. Bense war Leiter des Studium Generale, das an einer Technischen Hochschule von besonderer Bedeutung ist. Ich hatte als Veranstaltung im Rahmen des Studium Generale ein Seminar über den jungen Marx angekündigt. Als ich das Semesterprogramm erhielt, stellte ich fest, dass dieses Seminar darin nicht erschien. Bense selbst war zu jener Zeit in Japan.
Ich wandte mich
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