Über Himmel und Erde: Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka - Das persönliche Credo des neuen Papstes (German Edition)
über die Definition Gottes. Vier Weise arbeiten diese theologische Suche aus, und alles endet mit einem Ausspruch von Ijob: »Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut.« Am Ende hat Ijob ein anderes Bild von Gott als zu Beginn. Diese Erzählung will besagen, dass die Auffassung dieser vier Theologen nicht wahr ist, weil man Gott kontinuierlich immer sucht und findet. Und es entsteht dieses Paradox: Man sucht ihn, um ihn zu finden, und weil man ihn findet, sucht man ihn. Das ist ein sehr augustinisches Spiel.
Skorka : Ich glaube mit festem Glauben, dass Gott existiert. Im Gegensatz zu einem Atheisten – der behauptet, dass Gott nicht existiert und jeglichen Zweifel ausschließt – be nutze ich bewusst das Wort Glauben, das noch einen Rest von Zweifel durchschimmern lässt. Ein wenig – aber nur ein wenig – folge ich damit der Argumentation von Sigmund Freud, der schrieb, der Mensch brauche die Idee eines Gottes, um seiner existenziellen Angst Herr zu werden. Aber nach gründlicher Auseinandersetzung mit der Haltung derer, die die Existenz Gottes leugnen, kehre ich zum Glauben zurück. Wenn ich den Kreis schließe, spüre ich wieder Gottes Gegenwart. Und trotzdem bleibt dieser Rest von Zweifel, weil es sich um eine existenzielle Frage handelt und nicht um eine mathematische Theorie, wobei auch bei einer mathematischen Theorie durchaus Zweifel bestehen können. Wir sollten Gott nicht durch die Brille der natürlichen Logik betrachten, sondern ihn in ganz eigenen Begriffen denken. Schon Maimonides hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ein Agnostiker könnte dessen berühmtes Paradox anführen: Wenn Gott allmächtig ist, kann er einen Stein erschaffen, den er nicht anheben kann; aber wenn er tatsächlich einen Stein erschafft, den er nicht anheben kann, ist er nicht allmächtig. Gott steht über der Logik und ihren Paradoxien. Oder wie Maimonides sagt: Gott kennt die Dinge in ihrer Gesamtheit. Das Wissen des Menschen hingegen ist begrenzt. Wüssten wir so viel wie Gott, wären wir selbst Götter.
8. Über die Schuld
Bergoglio : Schuld kann in zwei Bedeutungen verstanden werden: als Verstoß und als psychologisches Gefühl. Letztgenanntes ist nicht religiös; jedoch würde ich die Behauptung wagen, dass es ein religiöses Gefühl sogar ersetzen kann, so etwas wie die innere Stimme, die anzeigt, dass ich mich geirrt habe, dass ich etwas Schlechtes getan habe. Es gibt Personen, die schuldsüchtig sind, weil sie es brauchen, in Schuld zu leben; dieses psychologische Gefühl ist krankhaft. Sich anschließend in Gottes Barmherzigkeit zu flüchten, scheint aus diesem Schuldgefühl heraus sehr viel einfacher, denn ich gehe beichten und fertig: Der Herr hat mir bereits vergeben. Aber so einfach ist es nicht, denn man ist lediglich hingegangen, damit einem der Fleck weggewaschen wird. Und ein Verstoß ist eine ernstere Angelegenheit als ein bloßer Fleck. Manche Leute spielen mit dieser Frage der Schuld und machen die Begegnung mit der Barmherzigkeit Gottes zu einem Gang in den Waschsalon, um sich bloß den Fleck wegwaschen zu lassen. Und so wird alles immer schlimmer.
Skorka : Ich bin vollkommen Ihrer Meinung. Gut gemeinte Ratschläge, das Bild der sich ständig schuldig fühlenden jüdischen Mutter: Das sind alles nur Anekdoten, jedenfalls hat es nichts zu tun mit dem Wesen der Schuld im jüdisch-christlichen Verständnis. Wenn man ein Gebot übertritt, hat man immer die Möglichkeit, sich von der Schuld zu befreien. Man muss sich allerdings verändern, damit man diese Übertretung nicht noch einmal begeht. Es genügt nicht, einfach zu sagen: »Ich habe mich geirrt.« Natürlich hilft es, wenn man ein Gebet spricht, eine Spende tätigt, ein gutes Werk tut, aber immer nur dann, wenn man wirklich in sich gegangen ist. Wer also sagt, die jüdische und christliche Religion arbeiteten mit dem Konzept von Schuld, der irrt gewaltig, denn in unserem Verständnis ist die Übertretung eines Gebots nicht das Ende der Welt. Jeder kann Fehler begehen, er muss diese Fehler nur wiedergutmachen. Und er darf sie vor allem nicht wiederholen.
Bergoglio : Die Schuld für sich allein gehört in die Welt der Götzenanbeterei. Es ist eine weitere menschliche Ausflucht. Schuld ohne Wiedergutmachung lässt mich nicht wachsen.
Skorka : Ich glaube nicht, dass die Schuld ein ausschließlich religiöses Gefühl ist. Sie ist ein kulturelles Phänomen. Schuldgefühle werden auch dadurch
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