Über jeden Verdacht erhaben
Ponti wußte nicht, wie er sich entscheiden sollte. Dieses Mörderprofil war natürlich interessant, und die Kriminalreporter überschütteten ihn mit Argumenten, die auf zwei Dinge abzielten. Es gebe mehrere Morde, die durch einfache und greifbare gemeinsame Faktoren miteinander in Verbindung stünden. Die Opfer seien ausnahmslos orientalische Männer gewesen, wenn auch mit unterschiedlichem religiösem und kulturellem Hintergrund. Sie seien alle mit einer statistisch unwahrscheinlichen Geschicklichkeit ermordet worden. Ein Vergleich mit diesem Ausonius, wie ihn der Polizeiprofessor vorgenommen habe, falle sofort ins Auge. Die Kriminalreporter hatten noch einige frische Angaben, um dieses letzte Argument zu untermauern. Sie wußten jetzt genau, wie die beiden letzten Opfer, die Kurden, vor dem Buchcafé in David Bagares gata erschossen worden waren. Einer, so erklärten sie, sei mit dem ersten Schuß durchs Herz und das Rückgrat geschossen worden. Als er ein paar Sekunden später den Gnadenschuß erhalten habe, sei er folglich schon tot gewesen. Der zweite habe einen Lungenschuß erhalten, übrigens auch das in der Nähe der Mittellinie des Körpers. Auch dieser Mann sei schon im Sterben gewesen, als er durch den Kopf geschossen worden sei. Und in allen anderen Mordfällen, die inzwischen bekannt seien, müsse es genauso zugegangen sein. Dies hier sei der einzige Fall, bei dem es Zeugen gegeben habe, doch im Grunde spiele das keine Rolle, da die gerichtsmedizinischen Schlußfolgerungen eindeutig seien. Da draußen laufe also ein neuer Massenmörder frei herum, von dem man überdies annehmen müsse, daß er Soldat sei. Sogenannte Berufsmörder der Unterwelt gebe es nicht und habe es in Schweden auch nie gegeben, was immer Krimi-Autoren, Filmemacher und Journalisten der Abendpresse glaubten und behaupteten. Nur ein Militär könne so morden. Bei einem Vergleich mit dem Palme-Mörder zeige sich, daß dieser sein eines Opfer aus einer Entfernung von dreißig Zentimetern getroffen, das andere aber aus knapp einem Meter Entfernung verfehlt habe. So sähen schwedische Mörder in der Praxis aus. Das hier sei etwas völlig Neues.
Wahrscheinlich legten sich die Reporter mehr ins Zeug, als nötig gewesen wäre, da Erik Ponti skeptischer aussah, als er war. Er hatte sich intuitiv schon entschieden, das Material zu senden, zumindest was dieses »Profil« betraf. Er wollte jedoch noch ein wenig nachdenken, bevor er alle losrennen ließ; noch vor zwanzig Jahren wäre er inzwischen schon vollkommen aus dem Häuschen gewesen vor Begeisterung und hätte folglich leicht falsche Entscheidungen getroffen.
»Nun, das hört sich ja interessant an«, sagte er gedehnt und mit einem unergründlichen Tonfall. »Weiß man, aus welcher Entfernung der Mörder vor dem kurdischen Buchcafé geschossen hat?«
»Zwanzig bis fünfundzwanzig Meter«, erwiderte einer der Kriminalreporter eine halbe Sekunde schneller als sein Kollege, der erst beim letzten Wort, »Meter«, zu sprechen ansetzte.
»Dann ist er also ein sehr guter Pistolenschütze«, bemerkte Erik Ponti trocken. »Ich nehme an, daß unsere hiesigen Kurden, besonders die, die man des Terrorismus verdächtigt, keine Waffenscheine haben und keinerlei Möglichkeit, in geordneten Formen Schießübungen zu veranstalten?«
»Waffenscheine? Bist du noch zu retten?« fragte der eine Kriminalreporter mit einer freundlichen Miene, die mit der geäußerten Vermutung nicht ganz im Einklang stand.
»Nun ja, ihr seid wohl keine Pistolenschützen«, fuhr Erik Ponti fort, ohne eine Miene zu verziehen. Er wollte das Gespräch noch eine Weile unter disziplinierten Formen fortsetzen, bevor die Reporter fröhlich hinausrannten und ihren Beitrag vorbereiteten. »Ich verstehe aber etwas vom Pistolenschießen. Wenn man aus dieser Entfernung zwei Treffer landet, ob mit Laserzielgerät oder nicht, ist man ein hervorragender Schütze, das kann ich versichern.«
»Ja, aber das stimmt doch perfekt mit diesem Profil überein«, hakte der zweite Kriminalreporter nach.
»Genau«, bestätigte Erik Ponti gemessen. »Genau darauf wollte ich hinaus. Sagt mal, weiß nicht unser Freund, der oberste Kurdenjäger Jan Köge davon? Falls nicht, müßte dann nicht jemand von dem sicher hochqualifizierten Personal beim Gewaltdezernat in Stockholm das begriffen haben? Ich meine, von denen wissen doch viele, was eine Pistole ist.«
»Doch, das müßte so sein«, sagte der erste Kriminalreporter.
»Aber Köge hat eine
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