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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Aber dann bleibt doch noch eine sehr interessante Frage. Warum haben Sie nicht, wie es vorgeschrieben ist, diese ernsten Bedenken der Führung der Raswedka vorgelegt?«
    »Nun ja, Genosse Admiral«, begann Jurij Tschiwartschew und ließ sich zum ersten Mal ein feines Lächeln entschlüpfen.
    »Sie wissen offenbar nicht, wie wir bei der militärischen Raswedka organisiert sind.«
    »Das stimmt, Genosse General«, bestätigte der Vizeadmiral mit ausdruckslosem Gesicht. »Ich halte meine Frage aber trotzdem aufrecht.«
    »Die Raswedka, Genosse Admiral, wird von einer Trojka geführt. Ich bin einer dieser drei Männer«, begann Jurij Tschiwartschew geduldig. »Die beiden anderen haben mich überstimmt und wollten folglich, daß die meiner Ansicht nach törichte Operation in London fortgesetzt wurde.«
    Jurij Tschiwartschew breitete die Arme aus, als hätte er damit etwas Selbstverständliches erklärt, obwohl er sehr wohl wußte, daß die Dinge, auf die sie jetzt zu sprechen kamen, kaum besonders selbstverständlich waren. Außerdem erkannte er schnell, wie die Anschlußfrage lauten würde.
    »Warum sind Sie mit Ihren Beschwerden dann nicht zum Verteidigungsminister persönlich gegangen, Genosse General?« fragte der Vizeadmiral beinahe bekümmert.
    »Weil er keinerlei Befugnis hatte, etwas von dieser Operation zu erfahren, natürlich!« entgegnete Jurij Tschiwartschew schnell und selbstsicher. Er ging davon aus, daß eine solche Antwort anders nicht vorzubringen war.
    Die drei Richter sahen sichtlich erschüttert aus, doch diesmal kam es zu keiner internen Besprechung. Der Vorsitzende grunzte dem Vizeadmiral nur zu, er solle weitermachen.
    »Habe ich wirklich richtig gehört, Genosse General?« fragte er zweifelnd.
    »Vollkommen richtig, Genosse Admiral«, sagte Jurij Tschiwartschew so unbekümmert wie möglich. »Ich sehe natürlich ein, daß das vielleicht schwer zu verstehen ist. Noch vor einigen Jahren hätte es offiziell diese Möglichkeit gegeben, das Problem zu lösen, wie Sie es mit Ihrer Frage indirekt vorgeschlagen haben. Dann wäre ich nämlich mit meinen Bedenken zum Politbüro gegangen und hätte mit größter Wahrscheinlichkeit sofort Erfolg damit gehabt. Jetzt gibt es bekanntlich kein Politbüro mehr. Und in diesem Saal gibt es doch wohl niemanden, der in vollem Ernst der Meinung ist, ich sollte mich mit solchen Neuigkeiten zu Boris Nikolajewitsch höchstpersönlich begeben, unserem geehrten Präsidenten?«
    »Genosse General«, begann der Vizeadmiral. Er hörte sich spürbar angestrengt an. »Meinen Sie in vollem Ernst, daß nicht einmal der Präsident befugt sei, mit solchen Informationen umzugehen?«
    »Selbstverständlich, Genosse Admiral«, gab Jurij Tschiwartschew mit leicht erhobenen Augenbrauen zurück, als stünde die Antwort für ihn außer Frage. »Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß wir uns in dieser Hinsicht kaum von anderen politischen Systemen unterscheiden. Der Chef des schwedischen oder amerikanischen Nachrichtendienstes hätte in meiner Lage das Problem kaum anders behandelt.«
    »Aber der Präsident ist doch der höchste Entscheidungsträger unseres Landes, Genosse General!« fiel der Vorsitzende plötzlich ein.
    »Ja, natürlich ist er das«, bestätigte Jurij Tschiwartschew schnell. »Aber gerade deshalb ist es von großem Gewicht, daß er nicht in solche Angelegenheiten hineingezogen wird wie die, über die wir hier und jetzt sprechen. Dann bleibt die Verantwortung nämlich an ihm hängen, wenn etwas schiefgeht. Wenn er andererseits von nichts weiß, wenn es zu einem Skandal kommt, kann er einen General bei der Raswedka bestrafen, aber das Vaterland kommt politisch davon und vermeidet wie in diesem Fall eine wirtschaftliche Katastrophe. Das Ganze ist sehr einfach.«
    »Aber Genosse General«, wandte der Vizeadmiral zweifelnd ein, »Sie schildern die Raswedka ja so, als wäre sie ein Staat im Staate. Meinen Sie tatsächlich, daß der Gerichtshof das schlucken soll?«
    »Ich fürchte, die Angelegenheit ist sogar noch ein wenig komplizierter, Genosse Admiral«, erwiderte Jurij Tschiwartschew sanft. Seine Stimme hörte sich fast an, als spräche er zu kleinen Kindern. »Aber erstens sind die Streitkräfte eine eigene Staatsmacht. Sie selbst, Genossen Generäle, üben im Augenblick diese Macht aus. Der Präsident des Landes hat keine Ahnung von dem, worüber wir hier sprechen, und das soll er auch nicht. Noch weniger kennt er die Ereignisse in England. Die Duma, unser Parlament, unser

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