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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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eigentlich kein gutes journalistisches Kriterium für eine Veröffentlichung. Doch sie konnten sich immer damit verteidigen, daß das Echo des Tages zumindest das Bildungsniveau im Lande habe heben wollen, indem es von den Profilstudien des FBI berichtete.
    Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es interessant sein könnte, Hamilton nach diesem Profil zu fragen. Der Gedanke kam einfach angeflogen. Neuerdings dachte er nicht mehr an den kleinen Carl von der Clarté, den immer so strengen und ernsten Genossen, der jünger war als alle anderen, sondern nur an Hamilton .
    Aber fragen konnte er ihn ja. Wer nicht fragt, erhält keine Antwort – die goldene Regel des Journalismus.
    Carl fühlte sich wohl in seiner Rolle. Denn es war natürlich Theater, als er eineinhalb Tage Wartezeit damit zubrachte, in Moskau herumzuspazieren. Er war wie ein Russe gekleidet.
    Seine typische russische Pelzmütze, von der man einmal behauptet hatte, sie sei »ein Geschenk des friedliebenden sowjetischen Volkes«, hätte ihn möglicherweise als nicht besonders normalen Russen entlarven können, da sie aus Zobelfellen genäht war. Doch von den Menschen, die ihm auf den Straßen begegneten, würden wohl nicht allzu viele Zobel erkennen, da alle Neureichen in westlichen Autos unterwegs waren. Nur die arme Bevölkerungsmehrheit ging zu Fuß.
    Carl trug kurze schwarze Lederstiefel in einem auffallend russischen Schnitt zum Schutz vor dem ewigen Wintermatsch Moskaus, diesem grauweißen Brei, der offenbar nie zu Eis erstarrte, sondern immer seine durchdringende Nässe behielt, selbst wenn die Temperatur unter Minus zehn Grad sank. Er trug Jeans und eine lange Wildlederjacke mit Lammfellfutter. Auch das waren bei oberflächlicher Betrachtung Details, die ihn zu einem x-beliebigen Iwan Iwanowitsch machten, da nur äußerst wenige Menschen hätten sehen können, daß Jeans und Jacke keine billigen Produkte aus russischer Produktion waren. Ein Maßstab für den Erfolg seiner Theaterrolle war, daß er von Zeit zu Zeit von Besuchern der Stadt oder zugezogenen Neubürgern angehalten und nach dem Weg gefragt wurde. Manche hatten sich verlaufen, weil sie die Straßennamen nicht kannten oder weil sie ganz einfach zum ersten Mal in der Stadt waren; Moskau hat jeden Tag fast eine Million Besucher. Die meisten Fragen hatte Carl beantworten können, und manchmal konnte er sogar den kürzesten und besten Weg zu einem bestimmten Ziel nennen.
    Vor fünf oder sechs Jahren – eine Zeit, die politische Veränderungen viel länger erscheinen ließ als diese fünf oder sechs Jahre – hatte er vorsichtig damit begonnen, sich in der Rolle eines beliebten Straßenpassanten zu üben. Selbst wenn sein Russisch damals schlecht gewesen war, hatte er sich schnell in die Rolle hineinversetzen können. Ihn hatte nur ein abstraktes schlechtes Gewissen gequält, weil alle Menschen, die ahnungslos an ihm vorbeigingen, im Prinzip seine Feinde waren. Oder, schlimmer noch, weil er ihr Feind war.
    Jetzt gab es keine solchen Gefühle mehr. Statt dessen erfüllte ihn, was er als einen seiner letzten wichtigen Einsätze im Leben auffaßte, der Versuch, etwas zur Rettung Jurijs zu unternehmen.
    Es war für ihn ein so selbstverständlicher Gedanke, daß er, wenn auch vielleicht ein wenig zerstreut, auch zu Larissa Nikolajewna etwas darüber gesagt hatte, daß nämlich die Zeugenaussage zur Verteidigung Jurijs einer der letzten Einsätze seines Lebens werden solle. Sie hatte etwas eingewandt, worauf er gleichsam nebenbei erwähnte, daß er nicht damit rechne, noch besonders lange zu leben. Doch dann war ihm schnell aufgegangen, daß ein solcher Gedanke, mochte er für ihn auch selbstverständlich sein, in den Ohren eines anderen Menschen ganz anders klingen mußte. Da hatte er versucht, das Ganze mit einem Scherz abzutun.
    Es hatte sich als nicht ganz so leicht erwiesen, wie er geglaubt hatte, Larissa Nikolajewna mit neuer Kleidung auszustatten. Sie hatten wie vereinbart in den Modeläden in der Halle des Hotels Metropol angefangen, aber mit leeren Händen wieder fortgehen müssen. Ihre ungewöhnlichen Maße waren nicht an die in Paris und Mailand geltenden Ideale angepaßt. Erstens war sie viel zu hochgewachsen und hatte zweitens viel zu kräftige Beine. Sie sah aus, als hätte man zunächst ein Pariser Mannequin genommen, um dann in mathematisch perfekten Proportionen alles zu verdoppeln. Nach den Maßstäben, von denen man in einer Modeboutique ausging, war sie deshalb eine monströse

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