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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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habe die Verteidigung einen fast uneinholbaren Vorsprung gewonnen, wie sie es sehe. Doch nach dem Essen sei der Staatsanwalt an der Reihe, und da werde ein großer Teil dieses Vorsprungs unausweichlich dahinschwinden. So wie die Dinge jetzt lägen, habe die Verteidigung trotz der gestrigen sauren Attacken des Staatsanwalts und seines Zeugen, daß man nichts wissen und nicht spekulieren könne et cetera, überzeugend gezeigt, daß es richtig sein könne, nicht zum Präsidenten zu gehen. Das sei wichtig und erscheine ihr jetzt fast selbstverständlich. In der Frage, ob Rußland von einer Katastrophe heimgesucht worden wäre, wenn Jurij Tschiwartschew nicht so gehandelt hätte, stehe es ebenfalls zwei zu eins.
    Die entscheidende Frage laute also, ob der Staatsanwalt bei seiner Vernehmung den Versuch machen werde, diese beiden Ecksteine umzukippen, oder ob er eine völlig andere Taktik einschlagen werde.
    Carl stellte seelenruhig fest, daß ein Major der russischen Armee es kaum schaffen würde, einen Vizeadmiral der Raswedka zu kippen, mochte es auch die Raswedka eines fremden Landes sein. Und immerhin spreche er doch russisch.
    Bei diesem letzten Hinweis ließ sie eine lange Suada hören, wie phantastisch sein Russisch im Gerichtssaal gewirkt habe. Sie sagte, als sie die Augen geschlossen und ihm nur zugehört habe, sei es ihr wie eine salzgetränkte Poesie vorgekommen, als erzähle ein alter Seebär aus einer der früheren baltischen Republiken, von denen viele in der Sowjetmarine gedient hätten. Und sie könne garantieren, erklärte sie, daß es sich auch in den Ohren der drei Richter so angehört habe. Wie um alles in der Welt sei es ihm möglich, so zu sprechen? Ihr sei zwar klar gewesen, daß er ein gutes Russisch spreche, aber alle diese militärischen und politischen Wendungen?
    Er antworte verlegen und ausweichend, Russisch sei eine der großen Interessen seines Lebens. Er lese fast jeden Tag hundert Seiten russischen Texts. Es handle sich dabei entweder um militärische Berichte, daher all diese besonderen Begriffe, oder um klassische russische Literatur. Wie auch immer: Das sei jedenfalls ein Vorteil, den man nicht unterschätzen dürfe. Das sehe er auch so. Und kein kleiner Major von Staatsanwalt in der ganzen ehemaligen Sowjetunion würde an seiner Autorität als Vizeadmiral rütteln können, wenn es um sicherheitspolitische Bewertungen gehe. In diesem Punkt könne sie sich ziemlich sicher fühlen. Und welche zweite taktische Möglichkeit habe der Staatsanwalt?
    »Sie als feindliches Ungeheuer wiederauferstehen zu lassen, mein lieber Carl Carlowitsch«, murmelte sie düster. »Es gab einen Punkt, als ich zögerte…«
    »Ich weiß«, unterbrach er sie kurz. »Der Staatsanwalt wird diese Frage vielleicht stellen. Wollen Sie die Antwort schon jetzt?«
    »Ja, warum nicht«, seufzte sie. »Waren Sie selbst derjenige, der unsere feine Heldin Tatjana Simonescu eliminierte ?«
    »Richtig«, sagte Carl und wandte sich ab.
    »Das habe ich befürchtet«, seufzte sie. »Merkwürdiges Gefühl. Hier sitze ich mit Ihnen, und Sie scheinen so ein, wie soll ich sagen, ein richtiger Gentleman zu sein. Und dann…«
    »Machen Sie sich keine Illusionen, Larissa Nikolajewna. Ich bin nämlich Offizier. Aber, und denken Sie jetzt nach, sie war es auch. Ihr Job war es, andere zu ermorden. Aus diesem Grund ist sie Ihre feine Heldin . Und die Richter sind übrigens auch Offiziere. Ich glaube nicht, daß sie mich ohne weiteres als einen Schurken ansehen, nur weil ich meinen Job als Offizier tue. Nun. Glauben Sie, daß es heute nachmittag um solche Dinge gehen wird?«
    »Ja«, gab sie zögernd zu. »Je mehr ich darüber nachdenke, um so wahrscheinlicher kommt es mir vor. Wenn ich Staatsanwältin wäre, würde ich genau dort den Stoß ansetzen. Im Augenblick sind sie ganz einfach unüberwindlich. Sankt-Georgs-Kreuz, Roter Stern, Admiralssterne, mein Gott! Es ist einfach das Maximum!«
    »Wie bitte!« sagte Carl bestürzt.
    »Nun ja, das Maximum…«, sagte sie unsicher. »Das ist ein westlicher Begriff, der…«
    »Ich weiß!« unterbrach Carl sie und hielt beide Hände hoch.
    »Ich war nur so erstaunt, dieses Wort auf russisch zu hören. Es hört sich irgendwie rührend an. Doch zurück zum Thema! Wenn Sie Staatsanwältin wären, würden Sie versuchen, mich als Schurken hinzustellen. Wissen Sie, was ich dann tue? Ich gestehe alles. Ohne Umschweife. Natürlich, das ist richtig, Herr Vorsitzender, ich töte manchmal Menschen. Ich gebe

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