Über jeden Verdacht erhaben
umschichtigen Ringen, die eine Art schwarz-orange-farbene Flagge oder ein Ordensband bildeten, hob Carl sein Glas, um seine Gäste zu begrüßen. Da senkte sich eine elektrisch geladene angstvolle Stimmung auf den Raum, die jeder verbergen wollte. Er begrüßte sie auf englisch, wahrscheinlich mit Rücksicht auf Erik Pontis Tischdame. Er löste den Knoten jedoch auf scheinbar einfache Weise. Er sagte, es sei das erste Mal seit sehr langer Zeit, daß er die Freude habe, Freunde um sich zu sehen. Es sei überhaupt das erste Mal, daß er wieder so etwas wie Freude empfinde, und das sei das Verdienst der Gäste. Diejenigen, die nicht anwesend seien, seien doch in den Gedanken aller. Keiner von ihnen wolle jedoch sehen, daß die Gesellschaft hier mit düsterer Miene herumsitze. Deshalb solle jeder sein Bestes tun, fröhlich zu sein. Skål und herzlich willkommen.
Der Weißwein, mit dem sie einander jetzt zutranken, war so fabelhaft, wie Erik Ponti es erwartet hatte. Er hatte das Etikett gesehen – ein 1978er Montrachet, ein Wein, von dem er selbst nur träumen konnte. Der Wein war gespenstisch perfekt, ebenso wie Carls einfache Art und Weise, das zu sagen, was gesagt werden mußte, ohne eine Schweigeminute zu verlangen, die den Rest des Abends gedauert hätte.
Erik Pontis Tischdame Simone erwies sich als eine leitende Beamtin des italienischen Kulturinstituts. Aus ihrer Sprache zog er den Schluß, daß sie aus Mailand stammte und aus einer sogenannten besseren Familie kam. Sie trug Jeans, obwohl das bestimmt nicht beliebige Jeans waren, wie Erik Ponti dachte, sowie ein grünschwarzes Seidenjackett mit Applikationen. Sie war das Urbild der Mailänderin. Kurz darauf erzählte sie fröhlich und ungezwungen, wie sie durch eine Laune des Schicksals in der gleichen Lage gelandet sei wie ihr künftiger Schwiegervater, nämlich in einer Familie, die zwischen Mailand und Stockholm pendle. Ach so, er wisse das nicht? Nun, Luigis Vater sei ja ein schwedischer Geschäftsmann, und seine Mutter gehöre zu einer italienischen Industriellenfamilie. Luigi habe immer mit einem Bein in Mailand und mit dem anderen in Stockholm gelebt. Sie selbst müsse noch zwei Jahre in Stockholm bleiben. Aber zum Teufel! In zwei Jahren sei immer noch Zeit, sich zu entscheiden.
Erik Ponti konnte der Konversation mühelos folgen und seine Pflichten als Tischherr einigermaßen erfüllen. Doch da die beiden sich auf italienisch unterhielten, wurden sie von allem abgeschnitten, worüber die anderen am Tisch sprachen.
Carl briet vor ihren Augen Rothirschfilet à la minute , servierte schnell und bat jeden, gleich nach dem Auftragen zu essen. Dann schob er Erik Ponti mit einem schnellen Augenzwinkern ein paar Weinflaschen hin und bat ihn einzugießen. Erik Ponti hatte schon gesehen, was an der Spüle gewartet hatte – zwei Flaschen 85er La Tâche, genau wie Carl am Telefon gesagt hatte. Der Wein war fast kränkend gut. Andererseits war es wunderbar, einen solchen Wein in Kleidern zu trinken, die nicht zu eng saßen. Erik Ponti hatte diskret die Krawatte abgelegt und stand im Begriff, auch das Jackett auszuziehen.
Als sie an dem Rotwein genippt hatten, kam es zu einer im Scherz geführten Diskussion, ob irgendwelche verfluchten italienischen Weine an einen La Tache heranreichen könnten. Luigi Bertoni und seine fiancée Simone behaupteten, das könne man sich sehr wohl denken. Der blonde Riese, der finnlandschwedisch sprach, bemerkte knapp, der Chef habe immer recht. Carl hob die Hand für französischen Wein, ebenso der blonde Riese und dessen Frau Anna. Die Italiener stimmten dagegen. Die Entscheidung lag also bei Erik Ponti.
»Ich bin Schwede, ich bin neutral«, versuchte er sich aus der Schlinge zu ziehen. Diese Bemerkung wurde mit fröhlichem Gelächter quittiert. »Na schön, wenn ich nicht Schwede und nicht neutral bin, muß ich ehrlich sein… Verzeihung, ich sage es lieber auf englisch!«
Dann gab er Frankreich seine Stimme, der er einen tief bedauernden Ton gab, um auf die Stimmung jedes Italieners in dieser Situation Rücksicht zu nehmen. »Immerhin«, fügte er hinzu, »kann man zu einer Pizza keinen Burgunder trinken!«
Es war jedoch der letzte Wein, der Erik Ponti am meisten beeindruckte. Nicht weil er am teuersten war, denn er war mit Sicherheit der billigste des ganzen Abends. Doch zum Abschluß erhielten alle ein kleines Stück weißen französischen Ziegenkäse, ein Stück Stangensellerie und ein Glas spanischen Weißwein aus dem Rioja
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