Über jeden Verdacht erhaben
namens Marqués de Murrieta. Es war ein 1982er aus dem Weinhaus Ygay.
Erik Ponti hatte den Wein schon bei einer anderen Gelegenheit getrunken, obwohl er nicht mehr genau wußte, wann. Der Wein war so kraftvoll, daß er eigentlich nur als Aperitif tauglich war. Seine Süße und sein Eichengeschmack ließen sich aber dennoch mit etwas so Unerwartetem wie einem weißen französischen Ziegenkäse kombinieren. Das war ein höchst bemerkenswertes Erlebnis. Nicht nur wegen des Geschmacks, sondern wegen der fast unbegreiflichen Tatsache, daß dieser Carl, ein Berufsmörder, mit einer absolut entsetzlichen Familientragödie hinter sich, auf fast spielerische Weise gewohnte Weinbegriffe auf den Kopf stellen konnte. Erik Ponti hatte plötzlich das Gefühl, als wäre Carl in einer anderen Welt und unter völlig anderen Umständen Gastronom mit rundem Bauch und drei Sternen im Guide Michelin geworden.
Nach dem Essen, als die Frau des blonden Riesen sich erboten hatte, Kaffee zu machen, und über Frauen witzelte, die für die Männer Kaffee machen – ein interner Scherz, dessen Pointe Erik Ponti entging –, packte Carl ihn an den Schultern und bot ihm einen Blick in den Weinkeller an.
Erik Ponti folgte Carl selbstverständlich in den Keller, wurde jedoch spontan mißtrauisch. In Carls Haltung war nichts von Prahlerei zu entdecken. So hatte er beispielsweise keinerlei Getue um den zum Essen servierten Wein gemacht, obwohl Erik Ponti der einzige Gast zu sein schien, dem klar gewesen war, daß die Weine, die zu jedem einzelnen Gericht serviert worden waren, zu den absolut besten der Welt gehörten. Wozu also in den Weinkeller gehen, um zu beweisen, daß es noch mehr davon gab?
Und ob es noch mehr davon gab. Als sie einen länglichen Raum mit Waffenschränken und elektrisch zu betätigenden Schießscheiben passiert hatten, gelangten sie in den Weinkeller. Dieser bestand aus einem vollkommen sauberen, frischgestrichenen Raum ohne Fenster mit einer Fläche von etwa dreißig Quadratmetern. In sieben Regalreihen vom Boden bis zur Decke mit einem etwa einen Meter breiten Gang zwischen jeder Reihe lagen die besten Weine der Welt und warteten. Neben der Tür entdeckte Erik Ponti einige Armaturen, die Temperatur und Luftfeuchtigkeit regelten, sowie einen kleinen Computer, der vermutlich das Inventar speicherte.
Erik Ponti war unsicher, was er sagen oder tun sollte.
»Wie viele Flaschen sind es?« fragte er widerwillig.
»Zwischen vier und fünftausend«, erwiderte Carl und schaltete den Computer ein. »Such dir selbst einen Wein aus. Was sagtest du neulich? Einen 1982er Cheval Blanc?«
Erik Ponti suchte widerwillig auf dem Display des Computers. Wein, rot, Bordeaux, Saint Émilion, bis er fand, was er suchte. Regal 4 B, noch 37 Flaschen.
»Komm mit!« sagte Carl und führte ihn zu dem angegebenen Regal. Neben dem reichlich bemessenen Vorrat von Cheval Blanc lagen fast ebenso viele Château Figéac aus demselben Jahr. Daneben lagen die Weine aus dem Nachbardistrikt Pomerol. Es begann mit Château Petrus und Château La Conseillante, ging weiter mit Vieux Château Cértan, Château Trotanoy und einigen Weinen, die Erik Ponti unbekannt waren, beispielsweise einem mit dem komischen Namen Fleur de Gay, was bei ihm per Assoziation unweigerlich zu »Schwuchtelblume« wurde.
»Du hast hier Wein für mehrere Millionen. Das beeindruckt mich natürlich ungeheuer, falls das deine Absicht gewesen ist«, sagte Erik Ponti mit gemischten Gefühlen.
»Ja«, sagte Carl und hob vorsichtig zwei Flaschen 1982er Cheval Blanc aus dem Regal. Er hielt sie ein Stück vor sich und warf sie plötzlich in die Luft, so daß sie sich zweimal um die eigene Achse drehten, bevor er sie wieder auffing. »Für drei Millionen ungefähr. Bitte sehr, nimm die hier!«
»Du weißt doch, was ich gesagt habe«, entgegnete Erik Ponti verlegen. »Man kann an einem Abend nicht mit einem Machthaber einen 82er Cheval Blanc trinken und ihn am nächsten Morgen interviewen. Außerdem ist der Wert des Weins viel zu groß, das gilt schon als Bestechung.«
»Ganz und gar nicht«, entgegnete Carl. »Steuerfrei darf man Geschenke bis zu sechstausend Kronen annehmen. Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn du mich von diesen zwei Flaschen befreist.«
Erik Ponti war unangenehm berührt. Er würde sich nie Weine wie diesen leisten können, mit dem Carl eben jongliert hatte, als wären es Zirkuskegel. Doch trotzdem wäre es bei einem so fabelhaften Wein höchst albern, unter
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