Über jeden Verdacht erhaben
Anschluß Schwedens an ausländische Oberhoheit gestimmt hatten; die Champagnerflaschen da oben am Tatort hatten einen starken Eindruck auf ihn gemacht, den er immerzu aus dem Kopf zu bekommen versuchte. Mord war Mord und mußte aufgeklärt werden, mochten die Opfer vielleicht auch das eine oder andere verdient haben.
»Jetzt ist es so«, sagte die Gastgeberin zögernd und drehte das Weinglas zwischen den Fingern, »daß ich zufällig Journalistin bin. Ich bin Reporterin bei der Sydsvenskan .«
»Oh, Teufel auch«, entfuhr es Wallander spontan. »Das ist gar nicht gut… Also, ich meine also, daß ich nichts dagegen habe, daß du Journalistin bist. Aber… Darf ich fragen, ob es in rein technischer Hinsicht möglich ist, daß morgen etwas in deiner Zeitung steht?«
»Nein, das ist unmöglich. Wir sind schon längst in Druck gegangen.«
»Das ist im Grunde schon erfreulich«, sagte Wallander. »Abgesehen davon, daß uns Polizisten nie gefällt, wenn unsere laufenden Verbrechensermittlungen in den Medien allzu ausführlich beschrieben werden… haben wir tatsächlich Probleme mit den Angehörigen. Habt ihr von hier aus schon einigen Angehörigen etwas mitgeteilt?«
Leises Kopfschütteln war die Antwort. In diesem Moment kamen Blixen und Ann-Britt Höglund wieder, und Wallander brauchte nur ihren Blick zu sehen, um zu erkennen, daß Blixen die gleichen bemerkenswert exakten Beobachtungen gemacht hatte, was die in Verwahrung genommenen Waffen betraf, wie der Gastgeber.
Wallander nickte seiner Kollegin zu, doch dann verlor er den Faden. Er betrachtete die Gastgeberin, die vor ihm saß, sah die hellblauen Linien um die Augen, deren Umrisse sich aufzulösen begannen. Sonst deutete nichts darauf hin, daß sie in einen Doppelmord verwickelt war. Augenzeugin eines Doppelmordes geworden war, korrigierte er sich. Dann sah er zu dem Mann hinüber, der Blixen hieß. Die gleiche korrekte Teilnahmslosigkeit, sogar die Smokingfliege saß jetzt plötzlich perfekt am Kragen des blutigen Hemds. Diese Menschen kamen Wallander nicht wirklich vor, und er konnte sich nicht dazu durchringen, was er eigentlich von ihnen hielt. Er war nur selten Angehörigen der Oberschicht begegnet und schämte sich, weil er bei ihnen Züge entdeckte, die er durchaus schätzte. Als Zeugen waren sie offenbar nicht zu überbieten. Zumindest wenn es in ihren Kreisen zu Morden kam und es dabei um Schußwaffen ging.
»Und was tun wir jetzt?« fragte die Gastgeberin ungeduldig und machte erneut eine Miene, als wollte sie sich auf das nächstgelegene Telefon stürzen. Es hing übrigens in nur wenigen Metern Entfernung an der Küchenwand.
»Nun!« sagte Wallander und riß sich von seinen belanglosen Überlegungen los. »Es ist sehr wichtig, daß die Angehörigen benachrichtigt werden, bevor etwas in den Massenmedien herauskommt. Normalerweise ist das Aufgabe der Polizei.«
»Und wie geschieht das?« fragte die Gastgeberin mit unüberhörbarer Neugier, fast amüsiert, als hielte sie jetzt schon ihren Reporterblock in der Hand.
»Wenn wir die Opfer identifiziert haben, werden Anweisungen erlassen, und der Polizeidistrikt, in dessen Bereich die Angehörigen ihren Wohnsitz haben, schickt einen Streifenwagen los, und dann… ja, und dann kommt diese alptraumhafte Szene. Alptraumhaft sowohl für die jungen Beamten, die diesen Job erledigen müssen, aber auch für die Angehörigen. Ungefähr so.«
Es war still im Raum. Niemand kommentierte das Gehörte, und es wurden auch keine Fragen gestellt. Wallander hatte wieder dieses eigenartige Gefühl, ins Fettnäpfchen getreten zu sein, als hätte er Regeln verletzt, die normalen Menschen nicht bekannt sind.
Doch jetzt stand immerhin eine Aufgabe bevor, die erledigt werden mußte. Er holte tief Luft und entschloß sich, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
»Da Ihnen die beiden Opfer bekannt waren, wissen Sie sicher auch, wer ihre nächsten Angehörigen sind«, stellte er in einem Ton fest, der ein Versuch sein sollte, berufsmäßig zu klingen.
Die anderen im Raum nickten nur. Keiner antwortete.
»Aha«, fuhr er unsicher fort und verstummte dann kurz, um einen Notizblock aus einer Jackentasche zu ziehen und einen Kugelschreiber aus der Brusttasche.
»Das Opfer, das der Tür am nächsten lag. Wenn wir mit ihr anfangen könnten. Wie hieß sie?«
»Estelle Hamilton«, erwiderte Blixen einen Sekundenbruchteil vor den anderen.
Wallander fühlte sich eigenartig beobachtet, als er den Namen hinkritzelte.
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