Über jeden Verdacht erhaben
Gastgeber antwortete nicht, sondern machte nur eine höfliche Handbewegung zur Tür. Wallander brauchte eine ärgerliche Sekunde, bis ihm aufging, was damit gemeint war: Er sollte Ann-Britt Höglund den Vortritt lassen, was er jedoch gerade nicht tat. So verfluchte er sich auf der Treppe zum Erdgeschoß.
Dort trafen sie auf die Krankenwagenbesatzung und einige Sicherheitsbeamte aus dem Polizeibezirk Malmö, die links und rechts Befehle brüllten. Wallander drängte sich durch das Gewimmel zur Krankenwagenbesatzung durch, wies sich aus und sagte den Männern, sie könnten die Leichen mitnehmen, die im Obergeschoß lägen. Sie sollten sie zum Gerichtsmedizinischen Institut in Lund fahren. Anschließend führte er Ann-Britt Höglund und Claes Peiper den Älteren durch das Gewimmel zu seinem geparkten Wagen. Er legte die Hand auf den Türgriff zum Rücksitz, überlegte es sich anders, ging zum Fahrersitz und zog ein paar Handschuhe aus der Seitentasche, die er dem Mann im Smoking überreichte.
»Ziehen Sie die Handschuhe an, und sehen Sie sich die Waffen auf dem Rücksitz an«, befahl er kurz.
Der Gastgeber zog sich die Handschuhe an, tat es jedoch mit einer erhobenen Augenbraue, was etwas betonen sollte – wahrscheinlich, daß es ihm nicht gefiel, von irgendwelchen Wachtmeistern so im Befehlston herumkommandiert zu werden. Dann nahm er eins der Schrotgewehre an sich, nickte kurz und legte es zurück.
»Ja«, sagte er. »Ich kann natürlich nicht sagen, ob gerade diese Waffen verwendet worden sind, doch es steht fest, daß es dieser Waffentyp war, dessen sich die Mörder bedienten.«
»Gut«, sagte Wallander. »Es ist also wie folgt: Wenn es stimmt, was Sie da oben gesagt haben, müßten sich in den Läufen dieser Waffen leere Schrotpatronen befinden?«
»Das läßt sich unmöglich sagen«, entgegnete der Gastgeber und hob erneut die Augenbraue. »In dem Augenblick, in dem sie das Zimmer dort oben verließen, befanden sich die leeren Patronen auf jeden Fall noch in den Läufen.«
»Nun ja«, sagte Wallander, den erneut etwas irritierte, was er nicht klar definieren konnte. »Versuchen wir es doch mal. Sie wissen ja, wie man sich anstellt, und außerdem haben Sie Handschuhe an. Können Sie einmal durchladen?«
Der Gastgeber sah ihn mit einer Miene an, die Wallander erkennen ließ, was der Mann dachte: Als würde seine Fähigkeit angezweifelt, eine Waffe durchzuladen. Vermutlich beherrschte er diese Kunst bei jeder der auf der Welt existierenden Waffen. Dann lud er durch und hielt die Waffe vorsichtig über den Rücksitz des Wagens, so daß die leere Schrotpatrone auf die Polsterung fiel und nicht zu Boden.
Wallander nickte und gab Ann-Britt Höglund ein Zeichen. Diese kramte ihre Plastiktüte hervor. Dann wiederholte der Gastgeber das Durchladen bei der zweiten Waffe – mit dem gleichen Ergebnis.
»Gut«, sagte Wallander. »Sie sind uns eine sehr große Hilfe gewesen, Herr Peiper.«
»Herr?« sagte der Gastgeber und hob zum drittenmal die Augenbraue.
Wallander kam plötzlich der Gedanke, daß der Graf auf Vrångaholm noch nie in seinem Leben mit Herr angeredet worden war, sofern es nicht beleidigend gemeint gewesen war. Wallander blickte zu Boden und versuchte seine Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren, was ihm ungewöhnlich schwerfiel.
»Was wollen wir jetzt tun, Herr Kommissar?« frage der Gastgeber mit einer förmlichen Höflichkeit, die den ironischen Unterton bei der Aussprache von Herr nicht im mindesten verbarg.
»Also!« sagte Wallander ungerührt. »Wie ich schon sagte, würde ich mich gern mit einem Ihrer Jagdgefährten unterhalten, der sozusagen in guter Verfassung ist, und sobald wir wissen, daß wir die Namen aller haben, die hiergewesen sind… das haben wir doch? Nun ja, Sie können Ihre Gäste bitten, nach Hause zu fahren, wie immer es ihnen paßt.«
Der Gastgeber warf einen melancholischem Blick auf seinen Schloßhof, der jetzt von Krankenwagen, zivilen Polizeiautos und Streifenwagen sowie blitzendem Blaulicht beherrscht wurde.
»Wirklich, dann werden wir wohl eine Art Transportdienst damit betrauen müssen«, sagte er kurz und ging mit entschlossenen Schritten auf das Haus zu.
Wallander sah ihm lange nach und schüttelte den Kopf. Sein erstes Gefühl, daß etwas in rein polizeilicher Hinsicht grundlegend falschgelaufen war, war durch etwas anderes abgelöst worden, was er sich nicht klarmachen konnte. Das hier waren ganz einfach ungewöhnliche Menschen, die nicht in derselben
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