Über jeden Verdacht erhaben
ich«, sagte Kurt Wallander mit einem Kopfnicken und machte dann eine Grimasse des Abscheus.
»Das wird kein angenehmes Verhör. Sie soll mithelfen, ihren Bruder wegen Mordes zu überführen.«
»Na ja«, sagte Rune Jansson. »Wenn sie lügt, könnt ihr sie darüber aufklären, daß sie Gefahr läuft, selbst der Mittäterschaft verdächtigt zu werden, außerdem stimmt das ja auch. Vielleicht ist es sogar ihre Idee gewesen. Dann ist sie nämlich der Beteiligung an einer Mordverschwörung schuldig. Angesichts einer solchen Auskunft dürften die meisten Leute in Tomelilla recht kooperationswillig werden, könnte ich mir vorstellen.«
»Wenn nun dieser Heiki unser Mann ist, kapiert er vielleicht gar nicht, was für ein schweres Verbrechen er begangen hat«, überlegte Kurt Wallander weiter auf derselben Bahn.
»Nein, ich weiß schon, was du sagen willst: Ich hab’ doch nur den Wagen gefahren «, sagte Rune Jansson nachdenklich.
»Er glaubt sicher, ein kleines Delikt begangen zu haben, aber daß er lebenslänglich kriegt, was wohl der Fall sein dürfte, ahnt er kaum. Traurige Geschichte.«
Beide versanken in eine kurze Grübelei, bei der es um die Fähigkeit von Menschen ging, Verbrechen zu begehen, indem sie verdrängen, was sie wirklich tun. Das Aufwachen vor Gericht wird in solchen Fällen meist sehr hart. Beide waren schon oft mit Mordermittlungen befaßt gewesen, Rune Jansson in den letzten Jahren sogar ausschließlich. Doch keiner von ihnen hatte je einen Mörder aufgespürt, der selbst nicht begriff, daß er im Sinn des Gesetzes genau das war.
Als sie auseinandergingen, waren beide sichtlich aufgemuntert. Die anfängliche Unlust war wie weggeblasen. Vergessen war die unangemessene Anspielung auf den Sherlock Holmes aus Ystad. Rune Jansson hatte Kurt Wallanders Schlußfolgerungen schließlich so schnell und vorbehaltlos akzeptiert, wie dieser es sich nicht besser hätte wünschen können. Obwohl sie vermutlich als Polizisten sehr unterschiedlich waren, erkannten beide sofort einen überzeugenden Zusammenhang, wenn man ihn ihnen präsentierte.
Kurt Wallander pfiff im Auto leise vor sich hin, als er nach Ystad fuhr. So guter Laune war er schon lange nicht mehr gewesen. Er hatte es fast als Ehrensache empfunden, den letzten Hamilton-Mörder aus dem Verkehr zu ziehen, und jetzt standen sie kurz davor, genau das zu tun. Rune Jansson hatte überdies vorgeschlagen, daß der Festnahmebeschluß in Ystad erwirkt werden solle, damit der Einsatz der Reichskripo sich darauf beschränken konnte, den Verdächtigen zu schnappen, die ersten Verhöre zu absolvieren und eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Damit blieb es der Polizei in Ystad erspart, daß man ihr die Vollendung einer langwierigen Arbeit wegnahm. Vermutlich war sich Rune Jansson der diplomatischen Delikatesse solcher Entscheidungen sehr viel bewußter als Kurt Wallander. Rune Jansson ging höchst sensibel mit diesem »Jetzt übernimmt die Reichskripo den Fall« um, während Kurt Wallander in diesem Punkt vermutlich völlig unempfindlich war. Für ihn war es die Hauptsache, daß der Mörder eingesperrt wurde, doch bei näherem Überlegen ging ihm auf, daß sein Chef, Polizeidirektor Björk, in dieser Hinsicht wohl ein wenig anders dachte. Björk liebte Pressekonferenzen.
Rune Jansson blieb noch eine Weile sitzen und las die Notizen durch, die er während des Vortrags von Kurt Wallander gemacht hatte. Punkt für Punkt nickte er beifällig. Nein, er sah keine Lücke in der Argumentation. Es wären schon viele Zufälle à la Pferderennen in Solvalla und anderes nötig, damit das hier nicht stimmen sollte; ganz unmöglich war es schließlich nicht. Doch nach einer Hausdurchsuchung und den Verhören würde man es mit Sicherheit wissen, und das war entscheidend. Er führte einige Telefongespräche mit Stockholm, unter anderem mit dem Leiter des Fahndungsdezernats bei der Stockholmer Polizei. Er informierte diesen über ein Objekt namens Heiki Tuominen. Dann wandte er sich der letzten Arbeit des Tages zu, die genau in dem Zimmer begann, in dem er sich jetzt befand, Zimmer 302, einer einfachen Suite im Hotel Lundia. Darin hatte Hamilton vor ein paar Tagen gewohnt.
Rune Jansson kramte einen Grundriß der beiden obersten Stockwerke des Hotels hervor, den er in seiner Aktentasche mitgebracht hatte. Darauf befanden sich numerierte Markierungen, die genau bezeichneten, wo das übrige Säpo-Personal in der fraglichen Nacht ab etwa 22.30 Uhr gewesen war.
Die erste Frage, die
Weitere Kostenlose Bücher