Über jeden Verdacht erhaben
unsere Befehle.«
»Ich verstehe. Mit wem von den anderen hattest du im Lauf des Abends zuletzt Kontakt?«
»Mit Hamilton selbst.«
»Wann war das?«
»Kurz vor Mitternacht.«
»Aha. Und was wurde dabei gesprochen?«
»Er rief mich an und sagte, ich könne es ruhig angehen lassen. Er lese und könne nicht einschlafen. Er übernehme meine Wache bis 02.00 Uhr. Dann sollte ihn Håkansson ablösen.«
»Hamilton hat also deine Wache kurz vor Mitternacht übernommen?«
»Ja, das ist richtig.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Ich ging ins Badezimmer, machte meine Abendtoilette, wie es in Ermittlungsakten heißt, und dann habe ich mich schlafen gelegt.«
»Wann bist du eingeschlafen?«
»Keine Ahnung, eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten später, etwa so. Ich kann ziemlich leicht einschlafen, und es war ein langer Tag gewesen.«
»Håkansson kann das also alles bestätigen, ich meine, daß er um 2.00 Uhr von Hamilton geweckt wurde und nicht von dir?«
»Ja, davon gehe ich aus. Wir haben das zwar nie besprochen, aber es würde mich sehr erstaunen, wenn Hamilton verschlafen hätte.«
»Na schön, wir brechen das Verhör bis auf weiteres ab. Bleib erst mal hier sitzen.«
Roger Jansson streckte die Hand nach dem Tonbandgerät aus, sprach den Zeitpunkt der Unterbrechung des Verhörs aufs Band und ging dann zu der wartenden Anna Wikström hinaus. Sie saß mit zerzausten Haaren da, da sie beim Nachdenken und Schreiben immer daran zupfte. Als sie hochsah und dem Blick ihres Kollegen begegnete, schüttelte er nur resigniert den Kopf. Carsten Johnsén, der allein im Vernehmungszimmer sitzen geblieben war, hatte plötzlich das paranoide Gefühl, daß man ihn insgeheim filmte. Er vermutete, daß sie ihn von Zeit zu Zeit allein ließen, um zu sehen, wie er reagierte, wenn er sich entspannen zu können meinte. Er versuchte, vor den imaginären Kameras Theater zu spielen, schüttelte den Kopf und lächelte über den Irrsinn der Welt oder was ihm sonst gerade einfiel. Er fühlte sich aber tatsächlich sehr stark unter Druck gesetzt. Das Verhör war alptraumhaft, und er machte sich keine Illusionen. Bald würde wieder die ehemalige Kollegin hereinkommen. Sie würde frische neue Ideen mitbringen, und dann würde alles wieder von vorn anfangen. So brachten sie ihre Mörder schließlich dazu, sich am Ende zu verplappern oder unter dem Druck zusammenzubrechen. Dann gestanden sie, einfach nur um dem ewigen Gequatsche ein Ende zu machen.
10
Rune Jansson wußte, wer der Mörder war. Normalerweise hätte diese Erkenntnis, besonders nach einer langen und manchmal trostlosen Fahndungsarbeit, ihn mit etwas erfüllt, was zumindest andeutungsweise als Erleichterung oder Befriedigung hätte bezeichnet werden können.
Doch was er jetzt empfand, war eher Trauer. Enttäuschung wäre ein zu leichtgewichtiges Wort gewesen. Und er kam sich ein wenig dumm vor, obwohl das weniger wichtig war. Wenn er wie dieser Kollege Wallander aus Ystad gewesen wäre, hätte er natürlich schon in einem weit früheren Stadium alles ausgerechnet, ohne Rücksicht auf das Gewimmel irrelevanter Tatsachen. Denn so war es: Er hatte sich in irrelevanten Fakten ertränkt.
Außerdem war der Durchbruch beinahe aus purem Zufall erfolgt. Anna und Roger waren dabei, Carsten Johnsén zu bearbeiten, und das schon weit länger, als eigentlich erlaubt war, zumindest bei Verdächtigen, die gewöhnliche Staatsbürger waren. Die Polizei in Lund und Malmö hatte vollauf damit zu tun, Angehörige und Bekannte des letzten Mordopfers Ali Hussein Fadlallah zu vernehmen. Die Ermittlungseinheit in Södertälje klopfte an Türen und arbeitete sich so durch die elf Zeugen hindurch, die den Tod des zwölften Mannes mit angesehen hatten. In Linköping war man mit dem Klinkenputzen schon etwas weitergekommen und hatte zumindest ein alternatives Automodell ermittelt, in dem der unbekannte Mann sich entfernt hatte, einen Citroën XM. Das war jedoch nicht ganz sicher; bei ungewöhnlichen Automarken waren Zeugenaussagen selten verläßlich.
Womit sich die Kollegen in Umeå beschäftigten, war Rune Jansson vollkommen gleichgültig. Er verzieh ihnen nicht, daß sie nicht nur die ersten gewesen waren, die etwas an die Journaille hatten durchsickern lassen, sondern daß sie es auch so blitzschnell getan hatten.
Was Västerås anging, war noch kein vernünftiger Ansatzpunkt gefunden. So hatte man beschlossen, die Verhöre Carsten Johnséns zu Ende zu bringen, bevor man sich überlegte, was mit
Weitere Kostenlose Bücher