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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Ahnungen gehabt hatte. Die Frage war, was sie geahnt hatte. Folglich war es zweckmäßig, sich sie als erste vorzunehmen.
    Und dann natürlich dieser Student, der die beiden Leichen am Morgen entdeckt hatte. Woher wußte er, daß es sich um Mord handelte, obwohl das erst nach sorgfältiger Untersuchung durch den Gerichtsmediziner festgestellt worden war?
    Da gab es nur eins: loslegen und mit der Arbeit beginnen. Während der folgenden Stunden wurden unter anderem zwei Verhöre durchgeführt, die für die Vernommenen ebenso unangenehm wie kränkend waren.
    Der Philosophiestudent Martin Arnhög wurde hart bedrängt und gefragt, wie er zufällig die beiden zugeschneiten Leichen habe entdecken können. Außerdem wollten die Beamten wissen, woher er hatte wissen können, daß die beiden einem Mord zum Opfer gefallen waren.
    Der Fundort lag zwar in der Nähe seines täglichen Morgenspaziergangs vom Fysikgränd im Studentenwohngebiet von Alidhem und der Universität. Er war auf dem Weg zu einer Vorlesung gewesen, die nachweislich um zehn Uhr angefangen hatte. Insoweit war nichts merkwürdig. Doch was hatte ihn dazu gebracht, ausgerechnet an diesem Morgen auf seinem gewohnten Spaziergang bei der Kirche plötzlich zum Glockenturm zu gehen und einen ungewöhnlichen Fund zu machen? Von dem zusammengetretenen Schneematsch hinten am Spazierweg her hatte er nichts sehen können. Woher also diese plötzliche Abweichung? Und wie hatte er wissen können, daß es sich um Mord handelte? Er studierte nämlich nordische Sprachen und nicht Medizin. Stand er in irgendeiner Verbindung zu den beiden Opfern? Hatte er einen der beiden Männer gekannt? Oder jemanden aus deren Bekanntenkreis?
    Für den Anfang wehrte sich der junge Student meist mit einer Art aggressiver Ironie, da es ihm sichtlich schwerfiel, die Fragen oder vielmehr das, was die Fragen andeuteten, ernst zu nehmen.
    Und als ihm aufging, daß es ernst war, da er nicht nach Hause gehen durfte, als er erklärte, er habe diese Albernheiten jetzt satt, sondern im Gegenteil darüber aufgeklärt wurde, man könne ihn sechs Stunden festhalten, bevor von einer vorläufigen Festnahme die Rede sein könne, war es zu spät, mit Erklärungen zu beginnen.
    Plötzlich hörten sich seine Erklärungen wie nachträgliche Konstruktionen an, wie Dinge, die er nur erfunden hatte.
    Er habe plötzlich pinkeln müssen. Was sei schon dabei? Deshalb sei er hinter den Glockenturm gegangen, und da habe er die Männer dort liegen sehen.
    Natürlich habe er nicht »gewußt«, daß es sich um Mord handelte. Anscheinend habe er einfach angenommen, daß die beiden nicht wie zwei Betrunkene ausgesehen hätten, die dort vielleicht erfroren seien. Vielleicht habe er deshalb spontan ein Verbrechen vermutet. Beide hätten ja in einer merkwürdigen Körperhaltung dagelegen, als hätte man sie dort hingeworfen. Und dann noch der Schnee… ja?
    Wie sei es möglich gewesen, daß er habe pinkeln müssen, nachdem er weniger als fünfhundert Meter von zu Hause zurückgelegt habe? Er habe sicher am frühen Morgen zu Hause gepinkelt? Außerdem seien um diese Zeit viele Leute auf dem Weg zwischen Universität und Studentenwohnheim unterwegs. Sei es nicht ein bißchen merkwürdig, sich dann am Glockenturm hinzustellen und zu urinieren?
    Und so weiter.
    Der junge Mann wurde natürlich nicht festgenommen. Es fehlte schließlich an jedem Verdacht gegen ihn. Doch als er gehen durfte, fühlte er sich wie ein Verdächtiger. Außerdem attackierten ihn Fotografen und Reporter der örtlichen Presse, als er das Polizeihaus verließ.
    Für Abdel Rahman Fayads Ehefrau Annalena wurde das Verhör schon bald schauerlich quälend, obwohl die Polizeiassistentin, die am meisten sprach, ihr Möglichstes tat, um sanft vorzugehen.
    Die beiden Kriminaler fanden sie hysterisch weinend mit einem kleinen Kind auf dem Arm vor. Sie hatte es schon erfahren: Ein Streifenwagen war vor einer Stunde da gewesen.
    Die beiden Polizisten fühlten sich zunächst ebenfalls sehr gequält und versuchten, sie mit der Hilflosigkeit zu trösten, die angesichts des Kummers und der Tränen der Frau unvermeidlich war. Doch es mußten unweigerlich bestimmte Fragen gestellt werden, und das überdies schnell, so schnell wie möglich.
    Die Frau hatte keine Ahnung, wen ihr Mann hatte treffen wollen. Sie erklärte, er habe nichts darüber gesagt. Und von einem Memo Baksi habe sie noch nie etwas gehört. Nein, es sei unüblich, daß er auf diese Weise verschwunden sei. Gerade

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