Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
deswegen habe sie sich ja so schnell solche Sorgen gemacht.
    Die Beamten bearbeiteten sie, anfänglich mit einer weichen und verständnisvollen Haltung. Aber sie glaubten ihr nicht, was sich schon bald an ihrer Art zu fragen zeigte. Sie bekam einen hysterischen Zusammenbruch, als ihr aufging, was man ihr zutraute: daß sie etwas wußte, was sie verbergen wollte.
    Das Verhör konnte nicht zu Ende geführt werden, und nach einer kurzen Beratung mit dem Chef des Ermittlungsdezernats wurde beschlossen, die Frau und ihre Kinder für die Nacht Mitarbeitern des Sozialamts zu übergeben, während man in ihrer Wohnung und der ihres ermordeten Mannes eine Hausdurchsuchung vornahm.
    Ohne auch nur andeutungsweise mit der Formulierung irgendwelcher Hypothesen zu beginnen, ging die Polizeiführung in Umeå davon aus, daß es eine klare Verbindung zwischen den beiden Opfern geben mußte. Und daß es angezeigt war, diese Verbindung umgehend zu finden. Es gab zwei einfache Wege, die sie einschlagen konnten: erstens Beschlagnahmen, Hausdurchsuchungen in den Wohnungen der beiden Opfer und an ihren Arbeitsplätzen sowie Sicherung von Beweismitteln.
    Zweitens Verhöre, vor allem Vernehmungen junger Männer mit Verbindung zu dem Karate-Club, dessen Leiter und Ausbilder Memo Baksi gewesen war. Eins der Opfer, Abdel Rahman Fayad, war immerhin mit einer karateähnlichen Methode getötet worden.
    Doch keine dieser wohlerprobten polizeilichen Methoden führte zu einem schnellen Ergebnis. Nach vierundzwanzig Stunden hatte man noch immer nichts Konkretes gefunden, was die beiden Opfer miteinander verband. Nirgends in ihren Aufzeichnungen oder Adreßbüchern fand sich die Telefonnummer des anderen oder auch nur eine Nummer mit einer indirekten Verbindung zu dem jeweils anderen. In Abbe Fayads Bekanntenkreis an der Universität oder an seinem Arbeitsplatz im Haus der Naturwissenschaften gab es niemanden, der von Memo Baksi oder dessen Karate-Club auch nur gehört hatte. Und die jungen Männer, die in dem Karate-Club unten in der Stadt verkehrten, stellten ganz offenkundig einen vollkommen anderen sozialen Kreis dar als der draußen auf dem Universitätsgelände.
    Memo Baksi war gelegentlich mit Drogendelikten in Verbindung gebracht worden, und es war vollkommen klar, daß er im Club mit einigen jugendlichen Delinquenten Umgang hatte. Gerade deshalb hatte er ja kommunale Mittel erhalten, um junge Schläger dazu zu bringen, unter geordneten Formen miteinander zu trainieren, statt sich in der Stadt zu prügeln.
    In Abbe Fayads Bekanntenkreis gab es ausschließlich Akademiker der Universität sowie einige Palästinenser, die als Krankenpfleger im Universitätskrankenhaus oder in einem der Restaurants auf dem Gelände arbeiteten.
    In sozialer Hinsicht waren die beiden Gruppen klar verschieden. Es gab nur zwei Dinge, die sie miteinander verbanden: Sie waren gleichzeitig am selben Ort ermordet worden, und beide waren ausländischer Herkunft.
    Als die Polizei in Umeå mehr als vierundzwanzig Stunden nach der Auffindung der beiden Mordopfer eine Pressekonferenz einberief, konnte sie folglich nur ein bedeutend magereres Material präsentieren, als sie geglaubt und gehofft hatte.
    Aus journalistischer Sicht waren die Fakten mager, aber dennoch recht interessant. Doppelmord. Ausländer. Karate-Experte.
    Das war eine gute Mischung. Daraus ließ sich eine gute Suppe kochen mit Fleisch auf den Knochen. Und folglich schilderten die Medien aus Stockholm das Ereignis bedeutend ausführlicher als die lokale Presse und der lokale Rundfunk. Es gab nämlich eine pikante Verbindung zu einer sehr bekannten Person: Die beiden Mordopfer waren in weniger als zehn Minuten Fußweg Entfernung von der Stelle aufgefunden worden, an der der Säpo-Chef Hamilton am Vorabend einen Vortrag gehalten hatte.

3
    Carl war seit mehr als einer Woche zum ersten Mal wieder zu Hause. Er hielt vor den Stahltoren, nahm den Sender aus dem Handschuhfach, richtete ihn auf das Tor und gab den Code ein. Die Tore glitten lautlos zur Seite. Dort unten, am anderen Ende der Allee, lag Stenhamra schwarz und still da. Er betrachtete das Haus und stellte fest, daß es eine sehr merkwürdige Sparsamkeit war, die ihn dazu gebracht hatte, den Timer abzustellen, der das Einschalten des Lichts regelte. Vielleicht hatte er das Licht auch ganz einfach abgestellt, weil er ein dunkles Haus sehen wollte, wenn er nach Hause kam, weil das ein wahreres Bild ergab, das keine Erinnerungen hervorrufen konnte und keine

Weitere Kostenlose Bücher