Über jeden Verdacht erhaben
brummend Wasser aufzunehmen begann, betrachtete er den Wäschekorb. Dann nickte er still vor sich hin, als hätte er tatsächlich eine Entscheidung getroffen, warf Tessies fleckigen Morgenmantel in den Wäschekorb und nahm diesen mit. Auf dem Weg zu dem großen Wohnzimmer im Erdgeschoß machte er alle Lichter an.
Wie gewohnt war in dem offenen Kamin ein Feuer vorbereitet. Paraffinampullen lagen bereit, und er brauchte nur ein Streichholz an alles zu halten. Er öffnete die Drosselklappe und zündete das Kaminfeuer an. Es begann sofort zu qualmen, als der Rauch und die Wärme auf dem Weg nach oben auf eine Mauer aus Kälte stießen. Als die Wärme gesiegt hatte und das Feuer ordentlich brannte, begann Carl, langsam Ian Carlos’ Kleider ins Feuer zu werfen, obwohl er bei den kleinen Sportschuhen mit den drei roten Streifen zögerte. Es hatte etwas mit Umweltverschmutzung zu tun. Man sollte Kunststoff und künstlichen Gummi nicht verbrennen. Dann schnaubte er über seinen Gedanken, in dem das Religiöse einen absurden Gegensatz zum Gewissen des verantwortungsvollen Verbrauchers gebildet hatte, und warf Schuhe, getrocknete, urinfleckige Hosen, einen kleinen dunkelbraunen Overall, Tessies Morgenrock und zuletzt das kleine Matrosenhemd ins Feuer. Er sah fasziniert und fast erstarrt zu, wie das Feuer über die drei weißen Ränder der blauen Borte des Matrosenkragens kroch.
Als der Matrosenkragen lichterloh brannte, ging Carl in die Knie und betrachtete ihn. Er konnte nicht verstehen, weshalb er nicht weinte. Vielleicht hatte er keine Tränen mehr, vielleicht hatte auch irgendein erzieherischer Rückenmarksreflex in ihm jedes unwürdige Auftreten während eines Gottesdienstes niedergerungen.
Die menschliche Natur kann sich doch an alles anpassen, dachte er. Menschen haben zu allen Zeiten alles aushalten können, um dann ein neues Leben zu beginnen. Das war eine ewige Erfahrung – all dies, was er sich immerzu selbst einzureden versucht hatte, was ihm der Alte immer wieder gesagt hatte. Es gab sogar ewige Erzählungen davon.
Briseis mußte erleben, wie Achilles ihre Söhne und ihren Mann bei einem Angriff vor Troja ermordete. Sie wurde zu seiner Kriegsbeute, obwohl sie eine Frau war, welche die griechischen Belagerer vermutlich nicht sehr hoch geschätzt haben konnten. Vermutlich hätten sie aus Angst vor Geschlechtskrankheiten jungen Jungfrauen den Vorzug gegeben.
Doch die Liebe zwischen Briseis und Achilles wurde so stark, daß er aus Verzweiflung zu kämpfen aufhörte, als ihm der König in einer Geste der Arroganz Briseis wegnahm. Damit wurde vielleicht der gesamte Krieg entschieden.
Wie hatte sie Achilles lieben können? Der Alte hatte diesem Thema vor dem Kamin unten in Kivik fast einen ganzen Abend gewidmet, als es aus Sicht des Alten vielleicht in erster Linie darum ging, Carl von jeder Art von Selbstmordgedanken abzubringen. Die naheliegendste Variante wäre vielleicht gewesen, nach Palermo zu fliegen und Don Tommasos Söhne nach und nach in Stücke zu schießen, bis sich das Kriegsglück unausweichlich wendete und Carl umkommen ließ.
Gerade damals hätte er gegen eine solche Lösung nichts einzuwenden gehabt. Er hatte sogar wie im Fieberwahn, an der Grenze zu dem, was nachträglich wie eine Art Wahnsinn erschien, betont, das sei eine außerordentliche Lösung, da auch die Vendetta damit enden müsse, wenn er selbst sterbe. Man hatte mehrmals auf ihn geschossen. Soviel er wisse, sei das ein schmerzfreier Tod, und dort unten werde nichts anderes in Frage kommen können. Lebend würden sie ihn nie schnappen können.
Er war darüber hinweggekommen und hatte den Gedanken an Rache erstaunlich schnell aufgegeben. Der Alte hatte gesagt, das sei vollkommen natürlich, denn sein Leben werde weit stärker von der linken Hirnhälfte bestimmt als von der rechten.
Und die linke Hirnhälfte klärte ihn inzwischen mit erhellender Kraft darüber auf, daß eine Vendetta gegen Sizilianer nicht gewonnen werden kann, wenn diese so viele Ressourcen, das heißt also Geld, zur Verfügung haben wie Don Tommasos Familie. Sie haben eine Waffe, gegen die es keine Abwehr gibt, die vendetta transversale. Wenn wir dich nicht schnappen können, holen wir uns deine Familie, alle, die mit dir verwandt sind, alle, die den Namen Hamilton tragen. Und dann mußt du mit etwas weit Schlimmerem leben, als wenn wir an dich selbst herangekommen wären. Sehr einfach.
Carl wühlte in den verkohlten Kleiderresten, so daß das Feuer erneut
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