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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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diese Waffe nie mehr anwenden, um jemanden zu töten, obwohl das jetzt nichts mit der Sache zu tun hatte. Im Augenblick klammerte er sich nur an seiner Neugier fest. Er war noch nie betrunken Auto gefahren, hatte in betrunkenem Zustand niemals auf eine Zielscheibe geschossen, nicht einmal leicht angetrunken.
    Nachdem er ein Magazin eingelegt hatte – diese eingeübten Bewegungen, die er in der Dunkelheit genauso schnell vollführen konnte wie in kaltem Neonlicht –, berechnete er, was ein Bier, das Bier, durch das Schwedens Fünfkampfmannschaft bei den Olympischen Spielen einmal eine Goldmedaille verloren hatte, etwa in Whisky gerechnet bedeuten würde. Doch, es kam ungefähr hin.
    Doch als er die Waffe hob, spürte er, daß er sie zu fest in der Hand hielt. Die Zielscheibe dort hinten wartete. Sie war gut beleuchtet. Doch er hielt die Waffe zu fest in der Hand, weil er Haß in sich spürte.
    Als er mit gesenkter Waffe ein paarmal ein und ausgeatmet hatte, beschloß er, alle Schüsse außer dem letzten in die Mitte zu setzen. Den letzten Schuß würde er auf die Neun um sechs Uhr schießen, direkt unter dem Mittelpunkt.
    Er schoß schnell und mit gutem Selbstvertrauen und glaubte, genau das getan zu haben, wozu er sich entschlossen hatte. Doch als er an die Zielscheibe trat, um das Ergebnis zu kontrollieren, mußte er sich sammeln und erneut nachsehen, da nichts stimmte. Bis auf den letzten Schuß direkt unter der Mitte.
    Er hatte nur eine Zehn erreicht, drei Neunen in verschiedenen Richtungen und eine Acht oben rechts. Es war die schlechteste Serie, die er in den letzten zehn Jahren geschossen hatte.
    Als er eine neue Zielscheibe eingelegt hatte und erneut schußbereit war, beschloß er, sein Äußerstes zu geben. Keine weiteren Überlegungen wegen eines letzten Schusses oder sonstiger Scherze.
    Die großkalibrige Waffe hatte das Zentrum der Zielscheibe zerschossen. Man konnte nur noch erkennen, daß es fünfzig Punkte waren. Die Zielscheiben waren klein und eigentlich für kleinkalibrige Waffen gedacht. Sie entsprachen in etwa einer Entfernung von fünfundzwanzig Metern mit einer Dienstwaffe. Er konnte jetzt keine Schlußfolgerung ziehen, sondern sich um seines Seelenfriedens willen nur vornehmen, jeden Tag eine Zeitlang zu schießen. Militärische Hintergründe für diese Übung gab es nicht mehr, denn er würde nie mehr ein Neun-Millimeter-Geschoß auf einen Menschen abfeuern. Was er jetzt brauchte, war so etwas wie ein Wasserloch oder eine Stunde der Kontemplation. Beim Pistolenschießen hatte er immer die gesamte Umwelt auf Abstand halten können. Doch gerade jetzt hatte er zum ersten Mal das, was einmal Training zu militärischen Zwecken gewesen war, Training Training Training, mit etwas anderem vermischt.
    Er schloß seine Waffe ein, machte das Licht aus, ging wieder in das große Wohnzimmer mit den gepanzerten Fensterscheiben hinauf und goß sich zu seinem eigenen Erstaunen einen zweiten Whisky ein.
    Er erkannte, daß er sich vor dem Bett fürchtete. Seit es passiert war, hatte er zwar mehrmals die Bettwäsche gewechselt, doch ihr Duft war immer noch da. Kurz vor dem Einschlafen würde er die Hand nach ihr ausstrecken, und beim Aufwachen würde es ihn zunächst erstaunen, daß sein tastender Arm sie nicht fand. Er fürchtete sich vor dem Bett.
    Er wechselte jetzt zu Macallan, da sie gesagt hatte, der schmecke am besten. Er kam ihm jedoch immer noch eher stark als aromatisch vor.
    Der neue Job war natürlich eine Rettung gewesen, und es war ihm völlig gleichgültig, ob sie so gedacht hatten. Es stimmte trotzdem.
    Es war ihm schwergefallen, sich eine Rückkehr in sein Büro im Generalstab vorzustellen. Dort hätte er sich mit den neuesten Nachrichten aus Tschetschenien befassen müssen oder mit der Frage unidentifizierter Vermißter, die beim Untergang der Ostseefähre »Estonia« den Tod gefunden hatten.
    Als er einige Wochen nach der Wahl in die Kanzlei des Ministerpräsidenten gerufen worden war, hatte er geglaubt, ihm stehe jetzt ein freundlicher Abschied oder Urlaub auf unbestimmte Zeit bevor, und er hatte sich schon darauf eingestellt, ein solches Angebot zu akzeptieren. Das war direkt nach der Beerdigung gewesen, und damals wäre er ohnehin nicht imstande gewesen, irgendeine Arbeit zu bewältigen. Es fiel ihm schon schwer genug, sich mit den notwendigen juristischen und ökonomischen Konsequenzen zu befassen; absurderweise hatte er sie beide beerbt, da Ian Carlos laut Aussage der Feuerwehrleute nach

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