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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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waren; diese Stücke waren einmal für einen Fürsten geschrieben worden, der Einschlafschwierigkeiten hatte.
    Carl trank vorsichtig und fand, daß der Whisky jetzt etwas besser schmeckte. Die Musik Bachs beruhigte ihn, wie es schon beim Besteller der Musik gewesen war, und schuf ein Gefühl des Zuhauseseins und der Normalität.
    Das Kaminfeuer drohte erneut auszugehen, doch jetzt beschloß er, keine Holzscheite mehr nachzulegen und abends nichts Hochprozentiges mehr zu trinken. Statt dessen konnte er sich in seinem Trainingsraum körperlich erschöpfen. Das mußte sowohl gegen die Schlaflosigkeit wie gegen ihren immer noch vorhandenen Duft funktionieren, ob dieser nun eingebildet oder wirklich war. Er würde jedenfalls in seinem Nachtschweiß ertränkt werden.
    Erik Ponti graute vor der Konferenz der Führungsgruppe am Montag morgen. Zu Recht. Wie sich herausstellte, hatte der neue Vorgesetzte wieder nachgedacht. Eine unmittelbare und konkrete Folge dieses Nachdenkens war ein ausgedehntes Geschwafel über die Kriminalität ganz allgemein. Dann hielt er kurz inne, als er ein boshaftes ironisches Glitzern in Erik Pontis Augen zu sehen meinte. Statt sich eine neue Herausforderung einzuhandeln, bei der er seine Führung aufs Spiel setzen würde, kam er endlich direkt zur Sache.
    Der neue Chef meinte, daß es gerade jetzt besondere Gründe gebe, einen Fehdehandschuh des Fernsehens aufzuheben; er entschuldigte sich kokett für die Verwendung des häßlichen Worts.
    Sachlich gesehen liege etwas Bestechendes, ja etwas geradezu Beunruhigendes in der Möglichkeit, daß man vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem Doppelmord an zwei Moslems in Umeå und dem neuen Ereignis in Linköping finden könne. Denn wenn nun drei Moslems auf eine Weise ermordet worden seien, die schlichtere und kommerzieller eingestellte Journalisten als Ritualmorde bezeichnet hätten, obwohl das gerade im Linköping-Fall ein wenig hergeholt erscheine, gebe es doch einen theoretischen Zusammenhang. Der bekannte »Laser-Mann Ausonius« sei im Moment zwar vollauf damit beschäftigt, seinen eigenen Prozeß zu torpedieren, aber was wäre, wenn draußen im Dschungel ein neuer Irrer aufgetaucht sei? Sollte man nicht…? Nun ja, Erik, wenn du fortfahren könntest?
    Es gab zwei Eriks im Raum, und Erik Ponti glaubte keine Sekunde, daß die Frage an ihn gerichtet war. Das war sie auch nicht, sondern sie ging an den Chef der Gerichtsredaktion; das Echo des Tages hatte keine Kriminalreporter wie die vulgären Medien, sondern Gerichtsreporter.
    Der Leiter der Gerichtsredaktion blätterte peinlich berührt in seinem Notizblock und berichtete dann kurz und stoßweise.
    Das Opfer sei ein Ali Akbar Kermani, siebenunddreißig Jahre, Iraner, aktiv beim iranischen Kulturverein der Universität Linköping. Arbeitsloser Arzt. Habe zu einem bestimmten Thema geforscht. Man habe ihn durch den Kopf geschossen, als er in seiner Küche stand. Die Polizei habe den Abstand zu der Stelle gemessen, an der der Schuß abgefeuert worden sei. Dreihundertdreißig Meter.
    »Das kann nicht stimmen«, fiel Erik Ponti ein. »Dreihundertdreißig Meter, durch den Kopf?«
    »Doch, die Polizei hat den Abstand mit Laser gemessen. Sie sind sich ihrer Sache völlig sicher«, erwiderte sein Kollege unsicher, da er sich Erik Pontis Erfahrung als Jäger sehr wohl bewußt war. »Meinst du, das sei ein bißchen extrem?«
    »Ja, schon«, entgegnete Erik Ponti nachdenklich und zurückhaltend. Er hatte keinerlei Anlaß, an der Richtigkeit der Angabe zu zweifeln, zumindest nicht daran, daß die Polizei diese Entfernung genannt hatte. »Das Ziel ist ungefähr genauso groß wie die Zielfläche eines Rehs. Ich habe einmal ein Reh auf zweihundertzwanzig Meter Entfernung erschossen, und zwar unter extrem guten Verhältnissen. Ich konnte das Gewehr stützen, es herrschte Windstille, und so weiter. Natürlich gibt es Jäger, die mit Dreihundert-Meter-Schüssen prahlen, doch im allgemeinen kann man sagen, daß das meist auf ein schlechtes Urteilsvermögen hindeutet.«
    »Jetzt sollten wir uns vielleicht nicht in ballistischen Details vertiefen«, unterbrach ihn der neue Vorgesetzte, sichtlich zufrieden, einen Punkt gemacht zu haben.
    »Nun ja«, sagte Erik Ponti und hielt abwehrend die Hand hoch. »Wenn das alles tatsächlich stimmt, ist dieser Schütze in einer hohen Leistungsklasse, ich meine, technisch gesehen. Außerdem durch ein Fenster… das bedeutet, daß er eine Menge wissen muß, was normale Teilnehmer an

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