Über jeden Verdacht erhaben
der Wahrheit ist bedauerlicherweise problematischer. Die Säpo hat lange die Politik verfolgt, sich der Quellen zu bedienen, der Agenten, wenn man so will, die man erwischt hat, um möglichst viele Informationen über ihre Auftraggeber aus ihnen herauszupressen. Die Gegenleistung bestand darin, daß man sie laufen ließ. Dieses Vorgehen hat man so dargestellt, als ob es uns gelungen wäre, die Agenten umzudrehen , wie der Terminus lautet, und manchmal ist es vielleicht sogar so gewesen. Doch jetzt zu den komplexeren Zusammenhängen. Wir leben in einem Rechtsstaat. Jeder hat als unschuldig zu gelten, bis man ihm das Gegenteil nachweist, und so weiter. Das sind nicht nur Worte, das ist etwas, woran die meisten von uns glauben. Ganz konkret sieht es wie folgt aus: Wenn wir einen schwedischen Agenten ergreifen, also einen Schweden, der sich der Spionage schuldig gemacht hat, sollte das tunlichst auf frischer Tat geschehen, wenn er seinen russischen Führungsoffizier trifft, seinen Kontaktmann, nicht wahr? Der Russe ist Diplomat und muß sofort freigelassen werden. Dann haben wir einen Schweden mit Geld in der Hand, wenn wir zu spät zugeschlagen haben, und mit geheimen Informationen in der Hand, wenn der Zeitpunkt des Zugriffs etwas glücklicher gewählt ist. Nur wenige Agenten treten so auf wie dieser Norweger, der sich mit einem dicken Packen von Dokumenten in der Aktentasche erwischen ließ. Diese Papiere waren übrigens für zwei Arbeitgeber vorgesehen, nämlich die Sowjetunion und dann noch ausgerechnet Irak. Normalerweise haben sie Papiere bei sich, die ihnen ein paar Jahre Gefängnis einbringen können. Das macht sie sehr kooperationswillig. Bei uns hat es als wichtiger gegolten, all ihre Informationen gegen Immunität zu erhalten, statt sie für ein paar Jahre ins Gefängnis zu stecken.«
Es sah jetzt aus, als könnte es ein langer und intensiver Abend werden, vor allem weil die Zuhörer inzwischen ihre verlegene Schüchternheit vor Hamilton überwunden zu haben schienen; das Trauerband an seinem maßgeschneiderten englischen Jakkett beherrschte das Bild nicht mehr so stark.
Doch statt dessen fand der Abend ein blitzschnelles Ende.
»Ich heiße Arvid Nordkvist. Ja ich heiße tatsächlich so und bin hier zweiter Vorsitzender der Landsmannschaft!« rief ein Student, der am selben Tisch saß wie Erik Ponti.
»Ja, ich akzeptiere, daß du so heißt. Ich habe Verwandte, die bei dem richtigen Arvid Nordquist* eingekauft haben. Was wolltest du fragen?« sagte Hamilton freundlich. Er schien mit einemmal ein wenig aufgetaut zu sein.
»Ja, es geht um die Frage, daß für den Personenschutz soviel Knete ausgegeben worden ist… Es sieht ja so aus, als würdest du selbst in hohem Maße zu diesen Kosten beitragen?«
»Ich genieße Personenschutz, wenn ich mich an vorhersehbaren Orten aufhalte, und beim Transport zwischen meiner Wohnung und meinem Arbeitsplatz«, erwiderte Hamilton schnell. Äußerlich hatte er wieder seine kalte Maske angelegt. »Ich halte das für klug. Im Hinblick auf die Umstände.«
Der zweite Vorsitzende der Landsmannschaft hatte sich mit seiner Äußerung einige diskrete Buhs und Gemurmel eingehandelt, da seine Frage allen Anwesenden peinlich war. Er war nicht mehr ganz nüchtern und dafür bekannt, daß er bei Vortragsabenden die Aufgabe hatte, freche oder provozierende Fragen zu stellen, manchmal sogar idiotische Fragen, etwa warum man immer einen Strumpf einbüßt, wenn man mit der Maschine wäscht.
Jetzt hatten er und einige Freunde sich ausgedacht, diesmal für eine unerwartete Wendung des Ablaufs zu sorgen, und * Arvid Nordquist = berühmtes Feinkostgeschäft in Stockholm (Anmerkung des Übersetzers).
beim Punsch war das allen ebenso kühn wie spannend erschienen. Er hatte also zwei Möglichkeiten. Die Idee weiterzuverfolgen oder sich hinzusetzen und eine Niederlage zu akzeptieren, nämlich daß er sich blamiert hatte. Er beschloß weiterzumachen.
»Wenn ich in diesem Augenblick einen Revolver zöge und ihn auf dich richtete, was würde dann passieren?« fragte er mit erhobener Stimme, als wollte er sich selbst Mut machen und die Lacher wieder auf seine Seite bringen.
Niemand lachte. Statt dessen wurde es vollkommen still, und jeder konnte sehen, wie sich Hamiltons Blick veränderte und wie seine Kiefer arbeiteten, bevor er sich zusammennahm, um zu antworten. Und er antwortete zwischen fest zusammengebissenen Zähnen.
»Wenn du jetzt einen Revolver zögst und ihn auf mich richtetest«,
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