Über jeden Verdacht erhaben
für unpassend, diese Unterhaltung per Telefon zu führen. Haben Sie verstanden?«
»Natürlich«, erwiderte die Frauenstimme, die sich fast beleidigt anhörte. »Ihr Russisch ist übrigens ganz vorzüglich. Eine offizielle Vorladung habe ich schon vorbereitet. Die Anklageschrift kann ich Ihnen nicht schicken, denn die ist geheim. Alles andere läßt sich jedoch regeln.«
»Gut«, sagte Carl. »Dann haben wir folgende Vereinbarung: Wenn ich eine offizielle Anfrage oder Vorladung des Gerichts auf dem Weg über Ihre diplomatische Vertretung hier in Stockholm erhalte, werde ich nach Moskau fliegen, um die Angelegenheit näher mit Ihnen zu diskutieren. Können wir so verbleiben?«
»Sehr gut, Herr Admiral, So läßt es sich machen.«
»Grüßen Sie Jurij Gennadjewitsch von mir«, sagte Carl und legte auf.
Jetzt gab es einiges, worüber er nachgrübeln mußte. Bisher war er davon ausgegangen, daß Jurij Tschiwartschew tot war. Eine Anklage wegen Spionage und Landesverrat war in Rußland ebenso wie in der Sowjetunion gleichbedeutend mit dem Tod, besonders dann, wenn man General der Spionageabwehr war und überdies schuldig.
Carl hatte erst spät verstanden, wie sich das Ganze abgespielt hatte. Es war dieser aufgeblasene englische Kollege Sir Geoffrey gewesen, der Jurij ans Messer geliefert hatte. Sir Geoffrey war so aus dem Häuschen gewesen, weil man ihm den Dinstinguished Service Order zuerkannt hatte, und damit das Recht, auf Lebenszeit die Abkürzung DSO nach seinem Namen zu führen, daß er dafür gesorgt hatte, daß die Verleihung publik wurde. Irgendein Idiot in der Verwaltung hatte es sich dann in den Kopf gesetzt, zugleich Carls Namen zu veröffentlichen. Sogar in der schwedischen Presse hatte es einige kurze Notizen gegeben.
Damit war Jurij so gut wie zum Tode verurteilt.
Von den russischen Operateuren in London hatte keiner überlebt. Aus der Ecke konnten die Kollegen des GRU also keine Informationen darüber erhalten haben, wie sich das Ganze abgespielt hatte. Wenn sie aber feststellen konnten, daß der Chef des britischen Nachrichtendienstes gleichzeitig mit Carl den DSO erhielt, und das kurze Zeit nach dem Verschwinden der russischen Operateure, war es nicht mehr schwer, zwei und zwei zusammenzuzählen und diese Information zu analysieren.
Die Russen wußten schließlich, daß Jurij Tschiwartschew und Carl einander gut kannten, an mehreren gemeinsamen Projekten gearbeitet und sogar in Sibirien Steinböcke gejagt hatten, und das ganz kurz vor der GRU-Katastrophe in London. Dieser Schlag war ein Informationsleck, das dazu führte, daß das GRU Personal verlor und eine ganze Operation abschreiben mußte. Sir Geoffrey hatte die Russen ahnungslos oder schlimmstenfalls in zynischer Gleichgültigkeit mit dieser Information versorgt, nur weil er in aller Öffentlichkeit mit seiner Belohnung für Einsätze im Dienst Ihrer Majestät prahlen wollte.
So einfach war es. Die kleine Notiz hatte Jurij Tschiwartschew das Leben gekostet.
Nein, noch nicht, noch lebte er ja. Falls die Anruferin tatsächlich Rechtsanwältin war und die Wahrheit gesagt hatte. Andererseits aber – wozu noch lange danach anrufen und die Sache weiter komplizieren, wenn sie ihn schon erschossen hatten?
Das sprach dafür, daß es wahr sein konnte. Jurij war wahrscheinlich noch am Leben. Carl dachte über das nach, was die angebliche Rechtsanwältin gesagt hatte, zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und machte sich aus dem Gedächtnis Notizen.
Seine Analyse bestätigen, hatte sie gesagt. In der Sache habe er alles zugegeben, doch jetzt gehe es um seine Motive, ob er gute Gründe gehabt habe oder nicht.
Carl legte den Kugelschreiber beiseite und versuchte zu überlegen. Jurij habe alles gestanden, jedoch behauptet, er habe recht gehandelt, nämlich im Interesse von Mütterchen Rußland. Deshalb sei er unschuldig.
Das konnte stimmen. Schließlich hatte Carl genauso argumentiert, um seinen Freund dazu zu bringen, die Grenze zu überschreiten, die juristische Grenze, die für sie beide an der gleichen Stelle lag.
Rußland hatte ein gutes Geschäft gemacht, das stand fest. Wenn diese abenteuerliche Operation in London öffentlich entlarvt worden wäre, hätte sie Rußland weit mehr gekostet als fünf Menschenleben.
Es konnte so sein, wie Jurij und seine Anwältin argumentierten. Folglich konnte sie sehr wohl eine richtige Rechtsanwältin sein. Folglich brauchte Carl nur noch eine offizielle Vorladung des Gerichts über die russische
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