Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Ernennung kaum noch viele Minuten geblieben wäre. Aber warte, es kommt noch schlimmer. Eins der Opfer war ein verdächtiger Kurdenterrorist. Und jetzt glaubst du wohl, es könnte nicht noch schlimmer werden. Doch das kann es. Beide Opfer wurden mit .357 Magnum Metal Piercing erschossen.«
    »Aha«, sagte Rune Jansson. »Es fängt also wieder an?«
    »Ja, das ist leider sehr leicht vorstellbar«, bestätigte Willy Svensén und kratzte sich am Hinterkopf, während er nachdachte. Das war eine Geste, die Rune Jansson noch nie an ihm gesehen hatte.
    »Die Kurden ermorden einander gegenseitig, Überläufer werden ermordet, Polizisten ermorden Überläufer, sofern sie keine Ministerpräsidenten ermorden, die Kugeln liegen überall herum und wurden unter Umständen gar nicht aus der Waffe abgefeuert, von der man es annimmt, sondern von einer völlig anderen, da der Mörder so ein ausgekochter Hund ist, daß er seine Kugel umlädt, um die Polizei zu verwirren, weil er nämlich selber Polizist ist. Außerdem sind wir alle Nazis und schützen uns gegenseitig, ungefähr so liegen die Dinge«, leierte Rune Jansson und blickte dabei an die Decke.
    »Ungefähr so«, sagte Willy Svensén.
    »Das hört sich ja aufmunternd an.«
    »Und ob. Verdammt aufmunternd. In einem Monat ist Frühling, dann will ich mit meiner Frau in den Garten und anfangen, Dinge zu pflanzen, die blühen sollen, wenn ich in Pension gegangen bin. Ich hatte gehofft, daß wir vorher noch diesen Fall gelöst haben. Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich habe es trotzdem gehofft.«
    »Und jetzt dauert es länger?« fühlte Rune Jansson vor.
    »Ich fürchte ja«, sagte Willy Svensén und seufzte schwermütig. »Das tue ich wirklich.«
    »Den Umständen nach passen diese neuen Morde vielleicht in unser Muster. Wir sollten eine Möglichkeit finden, diese Ermittlung in Stockholm in unser übriges Material einzufügen«, fühlte Rune Jansson vor.
    »Mit Stockholm! Mit dem Gewaltdezernat in Stockholm unter Leitung des obersten Kurden-Experten Jan Köge. Das glaubst du doch wohl selbst nicht, du Landei«, zischte Willy Svensén.
    »Wie lange dauert es, bis wir… wie würden sie uns hassen, wenn sie mithören könnten, was wir sagen… na, du weißt schon, bevor wir den Fall übernehmen können ?« fragte Rune Jansson matt.
    »Weiß nicht, keine Ahnung, habe so ein Problem noch nie gehabt«, brummte Willy Svensén. »Erst wird man wohl eine Weile auf Kurdenjagd gehen, dann sehen wir weiter.«
    Jurij Tschiwartschew war ein neuer Mensch. Das war nicht nur ein Gefühl, ein selbstverständliches Gefühl, nachdem er zwei Wochen lang Rasierzeug und saubere Unterwäsche erhalten hatte; diese kleinen alltäglichen Dinge, die für einen in Freiheit lebenden Menschen die Gefühle genausowenig beeinflussen wie das Recht zu atmen. Er war nicht mehr der Gefangene 223 B aus dem untersten westlichen Korridor, der blaue Lumpen trug und einen struppigen Vollbart.
    Er hatte ein großes braunes, mit groben Schnüren nachlässig zusammengebundenes Paket erhalten, das stark nach Mottenkugeln roch. So begann die Verwandlung. Darin befanden sich seine Uniform, blankgeputzte Stiefel und eine rosafarbene Plastiktüte mit seinen Auszeichnungen.
    Als die Wachen kamen, um ihn zu holen, hatte er auch für sie ganz offenkundig die Identität gewechselt. Sie verzichteten nämlich darauf, ihn mit Hand und Fußfesseln zu belegen, und versuchten sogar zu verbergen, daß sie solche Ausrüstungsgegenstände überhaupt bei sich hatten.
    Jetzt war er erneut Jurij Gennadjewitsch Tschiwartschew, Stabschef des militärischen Nachrichtendienstes GRU und Mitglied von dessen Sonderausschuß, dekoriert mit dem Lenin-Orden, dem Orden der Roten Fahne, einigen anderen Auszeichnungen und, was im Moment vielleicht das Wichtigste von allem war, dem Sankt-Georgs-Kreuz.
    Als er Moskau durch die beschlagene und sehr schmutzige Seitenscheibe des Gefährts, in dem sie ihn transportierten, wiedersah, holte er tief Luft, als könnte er reine, klare Winterluft einatmen, obwohl er draußen nur Schneematsch und grauen Schneebrei an den Straßen sah und den scharfen Geruch von niedrigoktanigem Benzin in die Nase bekam. Für ihn war es jedoch wie ein Duft von Freiheit.
    Er war ins Leben zurückgekehrt. Es konnte zwar sehr schnell enden. Alles konnte eine neue, schnelle Wendung nehmen, und dann wäre das Ende nach einer Stunde da. Doch es gab noch eine Chance. Wie groß sie war, konnte er nicht beurteilen, und seine Rechtsanwältin

Weitere Kostenlose Bücher