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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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mußte, nachdem er sich erklärt und verteidigt hatte. Nichts ist so ärgerlich, wie in aller Stille gehängt zu werden, wie ein russisches Sprichwort lautet.
    Als der kleine Truppentransporter anhielt und man ihn höflich auszusteigen bat, blickte er zunächst zum Himmel. Drei zerzauste Tauben hoben von einem Hausdach ab und flogen mit lauten Flügelschlägen davon.
    Er befand sich auf einem ungepflegten Innenhof mit überfüllten Mülltonnen und Teilen ausgeschlachteter Autos, einigen rostigen Felgen und ausgedienten Autobatterien, doch er erkannte trotzdem, wohin man ihn gebracht hatte, da sie gerade die Twenkaja überquert hatten, die frühere Gorkij-Straße, die man vor kurzem umgetauft hatte. Dies war ohne Zweifel der Zugang der Häftlinge zum höchsten Militärgericht der Russischen Föderativen Republik.
    Die Soldaten wiesen ihm höflich den Weg. Es ging ein paar Treppen hinauf. Im Treppenhaus roch es sauer nach Zement. Der wellige Putz war mit obszönen Sprüchen vollgekritzelt, die andere Gefangene offenbar mit aller Hast zustande gebracht hatten. Vielleicht stammten sie aber auch von deren Wärtern.
    Doch als sie mühsam drei Treppen hochgegangen waren, gelangten sie plötzlich in einen Korridor, der einen bedeutend würdigeren Eindruck machte. Kurz darauf wurde er in einen Raum geführt, der fast wie ein Salon wirkte. Dort wartete Larissa Nikolajewna. Sie war bemerkenswert elegant gekleidet und sah fast aus wie eine Frau aus dem Westen, wirkte aber zugleich sichtlich nervös.
    »Meine liebe Anwältin Larissa Nikolajewna!« begrüßte er sie übertrieben munter. »Mein Kompliment, Madame. Sie sehen wirklich fabelhaft aus. Aber wozu diese düstere Miene?«
    »Na, na, Jurij Gennadjewitsch, Sie brauchen wirklich nicht wie ein Mann aus dem Westen aufzutreten, nur weil Sie wie so einer verurteilt werden sollen«, entgegnete sie selbstbewußt. Sie spielte natürlich darauf an, daß er ihr ein Kompliment gemacht hatte, als wäre das einem Russen nicht mal im Traum eingefallen. »Aber wir haben ein kleines Problem. Ihr Vater ist hier.«
    »Kann ich ihn sehen?« fragte Jurij Tschiwartschew plötzlich gedämpft. »Wie hat er davon Wind bekommen? Ist er von Barnaul hierher geflogen?«
    »Ja, offenbar«, sagte sie gezwungen und zeigte auf eine Gruppe von Stühlen. »Setzen Sie sich. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis es anfängt.«
    »Aha?« sagte Jurij Tschiwartschew, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Darf ich ihn sehen? Darf er während des Prozesses im Saal sitzen? Ist es ein öffentliches Verfahren?«
    »Nein, das ist es nicht«, erwiderte sie nervös und zündete sich eine Zigarette an. Jurij Tschiwartschew schüttelte nur den Kopf, als sie ihm mit einer fragenden Bewegung die Schachtel hinhielt. »Sie dürfen mit niemandem sprechen und nur von fern grüßen. Und sobald die Verhandlung beginnt, wird man erklären, daß sie hinter verschlossenen Türen stattfinden wird. Dann werden alle Unbefugten aus dem Saal gewiesen. Darunter auch Ihr Vater, wie ich fürchte.«
    »Weiß er, wessen ich angeklagt bin?« fragte Jurij Tschiwartschew.
    »Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte die Anwältin und zog zweimal tief an ihrer amerikanischen Zigarette. »Ich begreife nicht mal, wie er Wind davon bekommen hat. Immerhin ist es ein geheimer Prozeß.«
    »Er ist pensionierter Offizier und hat wohl seine Verbindungen. Außerdem ist er Held der Sowjetunion«, bemerkte Jurij Tschiwartschew, als wäre damit hinlänglich erklärt, daß es seinem Vater hatte gelingen können, höchst geheime Informationen zu erhalten, indem er nur ein paar gleichaltrige Offizierskameraden anrief. »Dürfen Sie ihm sagen, worum es geht?«
    »Nein«, erwiderte sie gepreßt. »Ich unterliege der Schweigepflicht, die alles betrifft, was hinter verschlossenen Türen geschieht.«
    »Ist Admiral Hamilton nach Moskau gekommen?« fragte Jurij Tschiwartschew leise, als dächte er im Augenblick mehr an seinen Vater als an irgend etwas, was mit dem Prozeß zu tun hatte.
    »Ja«, bestätigte sie schnell, erleichtert, nicht über seinen Vater sprechen zu müssen. »Ich bin ihm ein paarmal begegnet. Ein bemerkenswerter Mann. Er spricht übrigens ein ausgezeichnetes Russisch, wirklich, einzigartig. Er unterstützt natürlich Ihre politische Analyse. Wenn er es nur schafft, das, was er zu mir gesagt hat, mit der gleichen Selbstsicherheit vor den Richtern zu wiederholen, wird das eine sehr positive Wirkung haben, wie ich glaube.«
    »Ja, das mag so sein«,

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