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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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er sich mit uner klärlicher Anmut auf seinen kurzen Beinen um, wandte ihnen das gekrümmte Hinterteil zu und trottete aus ihrem Blickfeld.
    Schwer atmend, so als seien sie gerade von einem langen Tauchgang wieder an die Oberfläche gekommen, schauten Luisa und Paolo sich an. Lärmend hämmerte der immer stärker werdende Regen gegen die Karosserie. Einige Minuten verstrichen, und immer noch schwiegen beide. Doch es war nicht das verlegene Schweigen zwischen Fremden, die nicht mehr wissen, worüber sie miteinander reden sollen, sondern die entspannte, fast intime Stille zweier Menschen, die einen bewegenden Moment geteilt haben.
    Eine Stille, die jedoch jäh unterbrochen wurde durch einen dumpfen Schlag gegen die Seitenwand. Luisa und Paolo schraken auf.
    Â»Er ist wieder da …«, flüsterte Luisa.
    Paolo legte einen Finger an die Lippen. Schon ließ der nächste heftige Schlag gegen das Blech sie hochfahren. Erschrocken hielt sich Luisa die flache Hand auf die Brust. Vielleicht hatte das Wildschwein es sich jetzt anders überlegt und griff an. Wieder ein Stoß und noch einer und wieder einer, die Schläge gingen jetzt wie Hagel auf den Wagen nieder.
    Luisa sprang auf und flüchtete tiefer ins Wageninnere, während sich Paolo vorreckte, um eilig die Flügel der Hecktür zu schließen. Doch bevor es ihm gelungen war, erschien ein Kopf in der Tür, der schrie:
    Â»Los, schnell! Kommen Sie!«
    Vor ihnen im Regen stand der Fahrer des Transporters und sah aus wie ein menschlicher Zwillingsbruder des Wildschweins: von gleicher bulliger Statur, fast ohne Hals, mit Tropfen an der Nasenspitze, die wie von den Eckzähnen des Keilers hinabrannen. Sogar die klitschnasse Wolle seiner Uniform verströmte einen ähnlich herben Geruch. Luisa und Paolo blickten sich erleichtert an.
    Â»Los? Was ist denn?«, sagte der Fahrer ungeduldig. »Wir fahren.«
    Mit einem solchen Lärm prasselte der Regen gegen das Blechdach, dass sie die Ankunft des Transporters, der nun neben ihnen hielt, gar nicht gehört hatten. Vorne an der Fahrerseite des Jeeps stand der Vollzugsbeamte Nitti im Wolkenbruch und schlug fluchend und schreiend immer wieder gegen die Tür: Der verletzte Fahrer war fest eingeschlafen, und sie kamen nicht weg, wenn der nicht endlich mal aufwachte.
    Im strömenden Regen rannten Paolo und Luisa hinüber und stiegen ein. Um sie herum auf dem Boden bildete sich sofort eine Pfütze. Nitti half dem verletzten Fahrer in den Wagen, sprang dann selbst hinein und schlug die Tür hinter sich zu. Er nahm seine durchtränkte Mütze vom Kopf, trocknete sich die Stirn und schlug noch ein letztes Mal gegen die Blechwand.
    Â»Fahr!«, sagte er.
    Der Wagen setzte sich in Bewegung, während der stark verbeulte Jeep zurückblieb. Von der Zentrale würde sich früher oder später jemand darum kümmern und einen Abschleppwagen schicken. Vermut lich jedenfalls.
    Er war der Gefängnisdirektor, aber alle nannten ihn nur den Dottore . Weder groß noch dick, machte er das, was ihm an Körperumfang fehlte, durch sein spezifisches Gewicht mühelos wett: Er besaß eine Präsenz, die der sehr viel stattlicherer Menschen in nichts nach stand. Da ihm viel daran lag, auf Anhieb verstanden zu werden, hatte er auf seinem Schreibtisch als Briefbeschwerer eine Pistole liegen. Geladen oder nicht? , mussten sich alle fragen, die hier vor ihm saßen. Er allein kannte die Antwort, und es war offensichtlich, wie sehr ihm das behagte.
    Den Vollzugsbeamten vor ihm sah er gar nicht an, sondern betrachtete aufmerksam seine Fingernägel. Die Stimme, mit der er sprach, war so grob wie der Sand auf einer Baustelle.
    Â»Und was sollen wir jetzt mit denen anfangen? Wir sind doch kein Hotel.«
    Â»Das sag ich den Gämsen auch immer …«
    Â»Lass die Witzchen, Nitti. Du hast mir die Scheiße eingebrockt.«
    Â»Aber wieso, Dottore, was kann ich dafür?«
    Â»Eigentlich hättest du eine Strafe verdient.«
    Â»Hab ich etwa den Maestrale bestellt?«
    Â»Du hast dich von einem Kinderficker reinlegen lassen. Wäret ihr nicht gegen die Felswand geknallt, hätten die beiden die Fähre bekommen. Aber was ma chen wir jetzt mit denen? Sollen wir sie hier herumspazieren lassen, damit sie sich in Ruhe alles ansehen können? Um dann bei einem kleinen Ausbruch zu helfen?«
    Â»Aber nein. An so etwas denken die überhaupt nicht. Das sind ganz

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