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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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allen Seiten, dann verließ er im Rückwärtsgang die Küche.
    Ich sah auf die Straße hinaus; auf der Bank vor dem Eingang saßen drei Männer aus meiner Abteilung und blickten den Autos hinterher. Manchmal fragte ich mich, ob sie ihnen bewußt nachschauten oder ob sie einfach die Köpfe hin und her bewegten, um anzudeuten, sie seien beschäftigt. Miteinander zu sprechen war ihnen nicht möglich.
    Â«Wozu soll ich mit den anderen reden», hatte Mancini einmal gesagt, «erzähl’ ich ihnen meine Geschichte, fühlen sie sich an ihre eigene erinnert, und die ist schlimmer.»
    Ich schloß das Fenster, setzte Teewasser auf. Die Verrichtungenblieben immer die gleichen, in letzter Zeit konnte ich mich oft nicht mehr daran erinnern, wann und wie ich die Arbeiten erledigt hatte. Ich bewegte meine Hände so mechanisch wie die drei Männer auf der Straße ihre Köpfe. Nachdem ich die Tabletten aus der Verpackung herausgebrochen und in den Medikamentenschiebern verteilt hatte, zählte ich sie alle noch einmal durch.
    Mancini steckte den Kopf zur Tür herein.
    Â«Was ist, Mancini – alle schon geraucht?»
    Â«Sie hatten recht, es waren eintausendneunhundertvierundneunzig.» Er grinste und hielt den Daumen in die Höhe.
    Â«Sie kriegen keine mehr.»
    Er zuckte mit den Achseln. «Dann nicht.» Bevor er den Kopf wieder aus der Tür zog, fragte er mich, ob ich verheiratet sei.
    Â«Das wissen Sie doch. Seit vier Jahren.»
    Â«Oh», sagte er, «das tut mir aber leid.»
    Ich schaute nach Lucchi. Er saß neben der angelehnten Balkontür, das Hemd bis zum Nabel offen.
    Â«Es zieht», sagte ich und schloß das Badezimmerfenster.
    Â«Ach wo.»
    Â«Sehen Sie sich den Lampenschirm an. Der bewegt sich doch, oder?»
    Â«Na und?» Lucchi sah zur Seite. «Dann bewegt er sich eben.»
    Ich konnte keine abnorme Atmung bei ihm feststellen. Als ich ihn fragte, ob er genug Luft kriege, meinte er, den Blick auf das Badezimmerfenster gerichtet: «Jetzt nicht mehr.»
    Â«Brauchen Sie noch etwas?» Ich stellte den Tee auf den Nachttisch.
    Â«Ich habe Sie nicht gerufen.»
    Als ich mich zur Tür wandte, hörte ich Schritte hinter mir; sie hatten nichts Schlurfendes oder Schleppendes an sich. Es waren Straßenschuhe, ich erkannte sie am Klang der hohlenAbsätze. Lucchi, erinnerte ich mich, trug Pantoffeln mit Gummisohle; das Oberteil war mit einem senffarbenen Kordstoff überzogen.
    Â«Guten Abend.»
    Ich drehte den Kopf, wollte mit der Hand nach der Türklinke fassen, griff aber ins Leere. Auf mich kam ein großgewachsener, weißhaariger Mann zu, den ich auf Mitte vierzig schätzte. Er habe, sagte er mit Blick auf meine Hand, die nun auf der Klinke lag, auf dem Balkon eine Zigarette geraucht, obwohl dies nicht erlaubt sei. War es die Art, wie er mich musterte, oder waren es seine asymmetrischen Koteletten, die mir sofort auffielen – ich reagierte nicht. Als ich ihm nicht die Hand gab, legte er, ohne zu zögern, seine Hand auf meine.
    Â«Angenehm», sagte er, «Rino», als hätte es sich um eine Begrüßung gehandelt. Er folgte mir auf den Gang hinaus, blieb vor Lucchis Tür stehen.
    Â«Mein Onkel ist ziemlich unfreundlich», sagte er.
    Â«Seine Sache.»
    Ich ging zur nächsten Tür.
    Â«Und wie heißen Sie?» rief er mir nach.
    Ich hob die Augenbrauen und verschwand in dem Zimmer.
    Die Nacht verlief ohne große Zwischenfälle; Carelli verlangte nach Valiumtropfen, Rossi übergab sich wenige Meter vor der Toilette, und eine Frau aus dem oberen Stockwerk hatte sich gegen Mitternacht in der Tür geirrt und war in die Männerabteilung gekommen, wo ich sie daran hinderte, sich in Mancinis Bett zu legen. Sie glaubte, sie sei in ihrem Haus in der Via Nomentana. Ich konnte sie nur mit Gewalt aus dem Zimmer drängen. Was ich hier zu suchen habe, fragte sie mich, als ich Mancinis Tür hinter uns zuzog. Sie zwickte mich in den Arm und drohte mir mit der Polizei. Ich hätte in ihrem Haus nichts verloren. «Raus», sagte sie, «raus, raus, raus.» In ihrer Wutstemmte sie sich gegen mich, so daß ich mich mit einem Fuß am Türpfosten abstützen mußte. Sie war schwer; der helle, offene Bademantel und die langen Haare verliehen ihr ein riesenhaftes Aussehen. Auf einem ihrer Hausschuhe bemerkte ich mehrere Reiskörner.
    Â«Was machen Sie», schrie sie, ließ sich

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