Über Stock und Runenstein
besser
ausgerüstet?« fragte Sieglinde.
»Nun ja, Mrs. Svenson, wie um Himmels
willen hätte ich vorher wissen können, daß ich dorthin gehen würde? Man hat
mich zur Farm geschickt, um eine kleine Geschichte über Miss Hildas 105.
Geburtstagsparty zu schreiben, aber der Knecht, der auf dem Hof arbeitete, fiel
in den Löschkalk, und da dachte ich, daß ich besser schnell den Runenstein
finde, und ich mußte wieder zur Zeitung zurück, aber ich wollte zuerst sicher
sein, daß der Runenstein wirklich existiert.«
»Ich verstehe. Ihre Erklärung ergibt
mehr Sinn als das meiste, was ich in der letzten Zeit gehört habe. Also,
Thorkjeld, handelt es sich hier um einen echten Runenstein?«
»Jedenfalls stehen Runen darauf. Muß
ihn mir mal selbst ansehen. Und Onkel Sven zeigen.«
Präsident Svenson runzelte immer noch
die zerklüftete Stirn und versuchte, Cronkites Kritzeleien zu entziffern.
»Dieses Dings hier sieht aus wie ein Fluch.«
»Ein Fluch?« Cronkite fiel vor Freude
beinahe die Eingangstreppe hinunter. »Sie meinen so wie ›Verflucht sei jeder,
der meine Knochen von hier wegbewegt‹?«
»Arrgh.«
»Und was ist mit dem Helm?« Cronkite
hielt ihm sein Bronzefragment entgegen. »Meinen Sie nicht auch, es könnte sich
hier um den Teil eines Helmes handeln? Sehen Sie mal das Loch hier, in dem das
Horn gesteckt haben muß.«
»Urrgh!« erwiderte Svenson mit
zunehmendem Enthusiasmus. Er hielt das Metallstück an seinen riesigen Schädel.
Eine seiner widerspenstigen, eisgrauen Locken ragte wie ein Adlerflügel aus dem
Loch. »Na, wie sehe ich aus?«
»Um Gottes willen!« rief Timothy Arnes,
der bisher als einziger noch kein Wort gesagt hatte. »Es paßt haargenau.«
»Jessas Maria, wartet nur, bis Onkel
Sven das sieht! Swope, in zehn Jahren erlaube ich Ihnen vielleicht, mit Gudrun
auszugehen.«
»Vielen Dank«, sagte Cronkite, »ich
freue mich schon darauf. Aber im Moment muß ich erst meine Story schreiben.
Behalten Sie den Helm ruhig, und zeigen Sie ihn Ihrem Onkel, wenn Sie wollen.
Morgen früh komme ich als erstes vorbei und höre mir an, was er dazu meint. War
nett, Sie kennenzulernen, Mrs. Svenson. Danken Sie Ihrer Frau bitte nochmals
für das hervorragende Abendessen, Professor Shandy.«
Noch bevor Swope seine höfliche
Verabschiedung ganz beendet hatte, saß er bereits wieder auf seinem Motorrad,
auf dem er von Lumpkin Corners hergefahren war, und raste davon.
»Ich habe den Eindruck, daß wir einen
schlafenden Hund geweckt haben«, sagte Shandy nachdenklich.
Aber niemand beachtete ihn. Tim hörte
nichts, und Thorkjeld war damit beschäftigt, Sieglinde auf altnordische Art zu
küssen, mit anderen Worten molto con brio, als Vorspiel für das Treffen mit
Onkel Sven und die Besichtigung des Runensteins.
Sie überraschten den hochbetagten
Verwandten, als er gerade mit bedeutungsschwerer Miene und einer ansehnlichen
Witwe neben sich auf dem Weg zu den Heuschobern des College war. Die Witwe war
beträchtlich größer als er, doch Sven hatte den längeren Schnurrbart. Obwohl
sein Kinn völlig bartlos war, waren die Haare auf seiner Oberlippe gut 20
Zentimeter lang und hätten auf eindrucksvolle Weise sein Gesicht geziert, wenn
nicht gerade ein starker Wind geweht und sie hinter seine Ohren geblasen hätte,
wo sie sich mit den silbernen Locken vermischten, die auf seinen lässigen,
blauweiß gepunkteten Hemdkragen flössen.
Shandy tat es leid, Onkel Svens Pläne
für den Abend zu durchkreuzen, doch dem alten Herrn schien es wenig
auszumachen. Er war genauso aufgeregt wie Thorkjeld, als er das Helmfragment
sah, und stellte ohne zu zögern fest, daß es sich um ein Stück aus Uppsala
handelte, das er auf etwa 900 nach Christus datierte. Außerdem bemerkte er — auf
Schwedisch, um die Gefühle seiner Begleiterin nicht zu verletzen — , daß man
zwar stets eine willige Frau finden könne, ein Runenstein dagegen in dieser
gottverlassenen Einöde eine Verlockung darstelle, der er nicht widerstehen
könne, und schloß mit der Frage, worauf man denn noch warte.
Thorkjeld, inzwischen völlig außer sich
vor Begeisterung, erbot sich lautstark, die ganze Gruppe zur Horsefall-Farm zu
fahren, was Shandy jedoch mit Bestimmtheit ablehnte. Er wollte selbst fahren,
denn er verspürte wenig Lust, an diesem Abend noch mit einem Wahnsinnigen durch
die Gegend zu rasen.
Während der Fahrt untersuchte Onkel
Sven den Abrieb, den Cronkite und Helen nach dem Abendessen sorgfältig mit
Klebestreifen zusammengeklebt hatten.
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