Über Stock und Runenstein

Er stimmte mit Thorkjeld überein, was das
Wort Orm betraf, und meinte, das nächste Wort sei »Tokesson«, das Ganze hieße
demnach: »Orm, Sohn des Toke.« Er nahm ebenfalls an, daß es sich um einen Fluch
handeln müsse, doch er wollte erst Näheres sagen, wenn er den Rest der
Inschrift gelesen hatte. Zumindest wußte man jetzt mit Sicherheit, daß es sich
nicht um das Werk einer Zufallslaune der Geologie handelte, die schon früher
falsche Hoffnungen in dieser Gegend geweckt hatte.
    Helen hatte vorausgesagt, daß Peter die
Horsefalls bei seiner Rückkehr nicht mehr allein antreffen würde, und wie
üblich hatte sie recht behalten.
    Eine beträchtliche Anzahl von
Verwandten hatte sich eingefunden und Kuchen, Plätzchen, Kondolenzbezeugungen
und Neugierde mitgebracht. Miss Hilda hatte sich umgezogen und trug nun ein
Gewand, das zweifellos seit mindestens 30 Jahren ihr bestes Sommerkleid gewesen
war: ein lila bedrucktes Kattunkleid, das mit einer ansehnlichen
Amethystbrosche verziert war, die offenbar noch aus besseren Zeiten stammte.
Als Onkel Sven sie erblickte, begannen sich die Enden seines langen
Schnurrbartes nach oben zu kräuseln.
    Sie schob zwei etwa 50jährige Männer,
die wie Zwillinge aussahen, vor sich her. »Das hier is’ Eddie, Professor, un’
das da is’ Ralph. Das sind unsre Großneffen, von denen wir heut gesprochen
haben.«
    Beide Männer waren großgewachsen und
hager, mit gebeugten Schultern und wettergegerbten Gesichtern, die den
resignierten, aber resoluten »Was haben Mutter Natur und die Regierung als
nächstes mit uns vor«-Ausdruck trugen, an dem man überall den kleinen Farmer
erkennen kann. Shandy verspürte eine instinktive Sympathie für die beiden
Männer, obwohl er sich bemühte, unvoreingenommen zu bleiben. Beide hatten
riesige Familien und Frauen mit einem äußerst energischen Kinn und machten im
großen und ganzen den Eindruck, daß sie gerade genug zum Leben besaßen. Er
konnte bereits das Geraune darüber hören, wer von beiden wohl bei den alten
Leutchen einziehen und die Farm übernehmen würde, und er erkannte außerdem in
einem von Ralphs Söhnen einen der Unruhestifter, die während der Großen
Lichterwoche vor zwei Jahren das College unsicher gemacht hatten, bevor er
selbst diese zweifelhafte Rolle übernommen hatte. 4
    Ralph Junior war etwa 15 Jahre alt,
groß für sein Alter und, so schien es jedenfalls, bereits aufgebracht genug
über die Ungerechtigkeit der Welt, um dazu fähig zu sein, die Gemeinheiten
auszuhecken, unter denen Henny Horsefall in der letzten Zeit zu leiden gehabt
hatte. Wahrscheinlich besaß er ein Fahrrad und wohnte ganz in der Nähe. Er
wußte sicher auch, daß seine Familie eine gute Chance hatte, die Farm zu
übernehmen, vielleicht hatte er also beschlossen, die Wartezeit ein wenig
abzukürzen, indem er dem alten Henny eine gehörige Portion Angst einjagte und
in ihm den Wunsch nach Schutz weckte. Vielleicht aber kannte auch eine andere
Person, etwa seine grimmig aussehende Tante, den schlechten Ruf des Jungen und
hatte diesen ausgenutzt und die ganzen Anschläge unter dem Motto »Wer einmal
ins Gerede kommt, dem hängt es ewig an« eingefädelt. Shandy fühlte sich
allmählich von der Zahl der potentiellen Verdächtigen überfordert.
    »Tut mir leid, Präsident«, murmelte er,
»ich hätte wissen müssen, daß es hier einen Menschenauflauf geben würde, sobald
die Geschichte über den Knecht durchgesickert ist. Am besten erwähnen wir den
Runenstein im Moment nicht. Sonst kommt es möglicherweise noch zu einer
Stampede.«
    »Warum zum Teufel haben Sie uns denn
hergeschleppt?« schnaubte Svenson.
    »Keine Sorge, wir werden schon
irgendwie an den Stein herankommen. Würden Sie bitte zunächst einmal einen
Moment lang vorgeben, als Abgesandter des Hilfsfonds für Landarbeiter hier zu
sein?«
    »Haben wir überhaupt nicht.«
    »Doch, haben wir. Tim und ich haben ihn
heute mittag ins Leben gerufen.«
    »Oh.«
    Svenson hatte genug gehört. Er ging
langsam und bedächtig zu Miss Hilda und ihrem Neffen und drückte ihnen sein
Mitgefühl aus, wodurch er sie in aller Öffentlichkeit auf eine gesellschaftliche
Stufe erhob, die ihre wildesten Träume übertraf. Bisher hatte Präsident
Thorkjeld Svenson, der berühmte Wissenschaftler und seit Gott weiß wie lange
der stolze Besitzer der Balaclava-College-Trophäe für den Großmeister im
Pflügen, niemals jemandem die Ehre erwiesen, persönlich bei einer privaten
Versammlung in Lumpkin Corners zu