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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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verschränkt und abwesend lächelnd, den Rückenausschnitt von Meline Mickel ins Visier, die in der Reihe vor ihm den Lippenstift nachzog.
    Helen Nur rauschte vorbei, im silbernen Paillettenkleid, und für eine Sekunde lang glaubte ich mich selbst im Spiegel der Metallplättchen zu sehen. Da war ich, Stella Sachs , in meinem Blazer von Virna Beardsley, die im September von der Queengeadelt worden war. Ich sah mich um, und für einen Moment sah es aus, als gebe es keinen Unterschied mehr zwischen mir und den anderen im Saal, die jetzt ihre Programmbroschüren zusammenfalteten, die Rücken strafften und die Blicke zur Bühne richteten, die aus inwendig erleuchteten Plexiglasquadern bestand.
    Ich verschränkte die Arme, presste meinen adeligen Blazer eng an die Brust. Niemals hatte ich Leute verstanden, denen Mode gleichgültig war. Immer hatte ich Mitleid mit Leuten gehabt, für die es keinen Unterschied machte, wer ihre Kleider entwarf. Ich wusste, dass man mit den Besten in Kontakt treten konnte, indem man nur das Beste trug; ich sah mich um und stellte fest, dass fast alle Gäste hier nur das Beste trugen. Sie trugen Anzüge von Leon Cavallas, ein Kostüm von Chloe Vermeulen oder wenigstens einen kleinen Gürtel von Shoot Shoot. Und es war offensichtlich, dass das Tragen der besten Kleider geholfen hatte, sie selbst zu den Besten zu machen.
    Jetzt spürte ich den Beardsley-Blazer an meiner Brust. Ich spürte, wie er die Brust mehr straffte als die Brust ihn, und mir wurde bewusst, dass auch ich ein Teil dieser Gesellschaft war, dass ich im bauchigen Betonofen dieser Konzerthalle verschmolz mit dem Rest. Ich brauchte nicht einmal mehr zu fotografieren. Ich musste mich nur treiben lassen im Glanz, mit angelegten Armen. Dann würde die Photosynthese einsetzen, und ich würde das Licht in Kohlehydrate umwandeln, in Süßigkeit, in Leben.
    Ich fing ein Zwinkern von Marja Großkreuz auf. Ich sah an mir herunter und musste zugeben, dass ich strahlte. Ich versuchte, zurückzuzwinkern; doch Marja hatte ihren aztekischenKopf schon wieder zur Bühne gedreht. In mir stieg Hitze auf, eine leicht beißende Schamhitze, die sich aber schnell in wohlige Wärme umwandelte, als auf der Bühne die Show begann.
    Es waren sieben Mädchen mit Taucherflossen an den Füßen, die, zu den Klängen von Cherokees »Lift Me Up (So I Can Put You Down)«, als Erste die Bühne betraten. Die Badeanzüge von Greystoke, die sie am Leib trugen, sah man erst auf den zweiten Blick, so sehr war die Luft erfüllt vom Flappen der Flossen, vom Freibadgeruch des Gummis. Dann setzte die Kraft des Entwurfs sich durch, das Genie von Greystokes Chefdesignerin Betty Arnheim; das Silber, das Violett, das dämpfende und zugleich aufreizende Taupe.
    Ich ließ meinen Blick durch die Reihen wandern; ich suchte ein Echo für meine Begeisterung. Ich sah, wie Suu-jung Mehrmann sich zum Ohr ihres Ehemanns Walter beugte, die Hand vor dem Mund; es konnte alles bedeuten, von Lob bis Verachtung. Ich suchte weiter, während die Musik, »La vida dulceamarga« von Esteban Barroso, einen neuen Auftritt ankündigte. Fast wollte ich mich wieder umdrehen, als mein Blick auf Nina Löwitsch fiel.
    Nina saß in der letzten Parkettreihe, gehüllt in einen Mantel aus Wildlederflicken. Ihre grazilen, strengschwarzen Augenbrauen machten einen Knick, spitz wie ein Papierflugzeug; ihr Schmollmund malmte auf einem mintgrünen Trinkhalm.
    Rechts und links von ihr saßen gespenstische Gestalten. Einer trug einen Cowboyhut mit seitlich abgeschnittenen Krempen; ein chinesischer Hufeisenbart umspielte den kleinen, spöttischen Mund. In seinen Arm, den Ellbogen auf sein Knie gestützt, schmiegte sich ein dünnes Wesen mit kurzenStirnfransen und langen Strähnen über der Schläfe; spitze Ohren stachen aus dem Haarknäuel hervor. Sie steckte in einer Art Nachthemd. Über den Brüsten waren totenkopfförmige Flicken aufgenäht. Sie kaute an etwas, das zu groß aussah für Kaugummi.
    Zu Ninas Linken lümmelte ein Kleiner mit kurzem, bösartigem Gesicht, einem schütteren Schnurrbart und einem wirren Haarnest am Kinn. Seine grüne Trainingsjacke hatte vier Streifen auf den Ärmeln und einen welligen Reißverschluss; die Hose hatte er über die Jacke gezogen. Die fettigen Haare überdeckten das Markensymbol, das, wie ich wusste, auf die rechte Brustseite gehörte. Und alle vier trugen Sonnenbrillen, braun getönte Gläser, deren Starre sich in ihren Gesichtszügen spiegelte. Sie sahen so verdammt stark

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