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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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aus, unabhängig und frei. Und sie alle hätten mit Schmiddel unter der Brücke wohnen können.
    Irritiert schaute ich weg. Ich überließ mich wieder dem Geschehen auf der Bühne, den ersten Takten eines neuen Songs, »Wanna wanna wanna« von The Balls. Eine Armee von Sommerkleidern marschierte über die Bühne, duftigster Musselin, der sich bei jedem der Stechschritte aufs Unerträgliche spannte und für Sekundenbruchteile fleischfarbene Slips mit roten Nähten freigab. Dann senkte sich das Bein, löste sich die Spannung, der Musselin quoll auf, die Mädchen schwangen die Arme, drehten die Köpfe zur Seite, nickten und begannen wieder von vorn.
    Jetzt achtete ich nicht mehr auf die Reaktion Sun-juu Mehrmanns und ihres Ehemanns Walter, auch nicht auf Marja Großkreuz, deren dünner Mund sicherlich immer noch offen stand. Ich sah nur noch Nina Löwitsch, die genau jetzt mit ihren Begleiternsonnenbrillenbewehrte Blicke über unbewegten Mienen tauschte. Und gleich darauf sah ich, wie das rauhe Quartett mit lässiger Eleganz aufstand. Es war schneller verschwunden, als ihre Sitznachbarn die Beine einziehen konnten.
    Mein erster Impuls war, ihnen zu folgen. Ich zwang mich, stehenzubleiben, setzte ein Lächeln auf, während ich unverwandt auf die Bühne starrte.
    Doch das Band, das mich mit dem Abend verbunden hatte, war zerrissen; plötzlich sah ich Suu-jung Mehrmanns Überbiss mit ungekannter Deutlichkeit. Ich stellte fest, dass der Gesichtsausdruck des chronisch souveränen Torben Beck ins Quarkige rutschte, sobald er die Blicke seiner Umgebung vergaß. Ich entdeckte einen neidischen Unterton im verständigen Lächeln der Melitta Sönderborg und im Blinzeln der weißen Siamkatze Annika Bürkles den resignierten Hass auf ihre Herrin, die sie diesem Schauspiel ausgesetzt hatte. Und mittlerweile hatte ich den Verdacht, dass auch Annika Bürkle sich hier nicht viel wohler fühlte als ihre Katze.
    Aus den Lautsprechern wetterte jetzt »Count On My Cucumboo« von Hilarious MC. Drei weißblonde Amazonen mit Kastenfrisuren, knielangen Torerohosen aus Satin und bestickten Boleros schlängelten und pirouettierten über die Bühne. Als ein schwarzer Mann mit aufgesteckten Hörnern hinter dem Vorhang hervorbrach, mit der Rechten den Kuhschwanz schwang, den man an der Rückseite seiner Strumpfhose befestigt hatte, und mit klopfenden Hufen, rollenden Augen und faunhaften Sprüngen auf die drei Frauen losging, beschloss ich, nicht mehr hinzusehen.
    Hinterher strömte ich mit den anderen Gästen aus dem Konzertsaal.Alle hatten den Rinderblick, den eine perfekte Show hinterlässt, den trottenden Gang. Kellner fingen sie ab, attackierten sie mit Silbertabletts; gehorsam griffen sie zum Fingerfood.
    Auf der Plaza baute jetzt die Hedonist Guerilla die Turntables auf. Als das Intro zu »Love Devotion Rambazamba« erklang, Miranda Brauchitsch einen seufzenden Jubelschrei ausstieß und der zähnebleckende Pepe Thevissen Joy Croy zur Tanzfläche zerrte, die sich in drolliger Resignation wand, flüchtete ich zum Fahrstuhl. Ich wusste, dass auf »Every Yard of You« unweigerlich »Take Me To the Limit of Your Tolerance« folgen musste; ich ahnte, dass irgendwo wieder Pia Tschorn kreischen und Buck Sellheim mit schwankendem, längst verschüttetem Schnapsglas und Kärcherstimme Trinksprüche ausgeben würde: »Pia, wir lieben dich.« Ich sah den Fahrstuhlwärter an, der aussah wie geschrumpft; zwischen den Strähnen, die seine Glatze überdeckten, glitzerte Tau.

6
    An den nächsten Tagen gab ich mir Mühe, mein Lächeln wieder zu lockern. Mit festem Schritt zog ich durch abendliche Jagdgründe, hob den Daumen und nickte, um Nicken zu ernten. Bei der House-Warming-Party in der neuen Firmenzentrale von United Records wogen drei Rookies der Edmonton Skunks meiner Kamera zuliebe einen imaginären Football in den Armen. Doch beim After-Sales Sale der Art Altona wurde ich Zeugin eines Streits wegen der Ausladung der Galerie Rübenstern. Im Eldorado , bei der Präsentation des Queer-Western »Yellow Browning«, war mir, als sähen die Gäste blass aus unter ihrer Sonnenbräune, wie Crème brulée, die durch die Kruste schimmert. Ihre Bewegungen wirkten ziellos, ihre Schritte schwankend, ihre Hinterköpfe rührend. Plötzlich sah ich Krater in Gesichtern, die sich in Monde verwandelten; ich sah das Meer der Unübersichtlichkeit, das Meer der Unerfreulichkeit, das Meer des langsamen Heimgangs. Die Monde schienen mir unfähig, von selbst zu glänzen; nur

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