Ueberdog
dieses Licht, das wusste ich, scheint nur dort, wo ohnehin schon Glanz ist. Die im Dunkeln, meine Güte, die sah man einfach nicht.
»Mireille«, sagte ich zwinkernd, »ich habe dich noch nie so schön gesehen.« Mireille blieb lächelnd stehen, als hätte ich wirklich mit ihr reden wollen; als wollte sie tatsächlich mit mir reden.
Mir fiel nicht viel ein. Ich konnte nur weiterzwinkern und auf ihren Bauch zeigen. »Danke«, sagte Mireille und: »Wir werden’s schon schaffen.« Dann wartete ich noch ein bisschen, lächelnd, und machte mich wieder auf meinen leuchtenden Weg in die Höhe, rauschend und mit einem stummen Summen, das nicht übers Trommelfell, sondern direkt über die Ohrknochen in mein Gehör drang.
Als ich mit Marc Trondheim, Anna-Silvana Zerlinsky und dem Ehepaar Dieter und Paola Pfurtner-Seck, das verliebt aussah wie am ersten Tag, in den provisorischen Fahrstuhl schlüpfte, hatte ich fast vollständig vergessen, warum ich hier war. Zusammen mit Marc, Anna-Silvana, Dieter und Paola stand ich zwischen den Pressspanplatten der Kabinenverkleidung, in die jemand krumme Löcher für die Etagenknöpfe gesägt hatte. Der Fahrstuhlführer saß krumm und misstrauisch auf einem Stapel Styroporplatten, einen Meter unter unserer Augenhöhe.
Ich atmete die knappe, kostbare Luft ein. Ich roch Marc, Anna-Silvana, Dieter und Paola, und ich wusste, dass Marc, Anna-Silvana, Dieter und Paola jetzt mich rochen. Gemeinsam atmeten wir eine Luft, die auf zweieinhalb mal zwei mal einen Meterzusammengepresst war und mit der Luft des Fahrstuhlführers unter uns doch nichts gemeinsam hatte. »Wie süß«, sagte Marc und bohrte, unter den sich verengenden Blicken des Fahrstuhlführers, seinen Zeigefinger in die provisorischen Löcher für die Fahrstuhlknöpfe. »Das sollten sie so lassen.«
»Pressspan ist überhaupt ein tolles Material«, sagte Dieter Pfurtner-Seck. »Wir haben unser ganzes Studio damit ausgekleidet.« Und das sagte er nicht nur zu Marc, sondern zu uns allen; zu Anna-Silvana und Paola genauso wie zu mir.
»Achtes Obergeschoss«, verkündete eine Computerstimme. Alle drängten hinaus auf die Plaza. Jetzt fand ich Abstand genug, meine Nikon zu zücken und Marc mit Anna-Silvana vor der folienverkleideten Fensteröffnung zu porträtieren; im Hintergrund glomm manhattanhaft der Columbus-Tower. Marc und Anna-Silvana ließen sich nicht lange bitten, für mich eine Tangostellung einzunehmen. Anna-Silvanas Rücken beschrieb eine elegante Parabel; ihr göttliches bronzefarbenes Haar streifte fast den Beton. Dann fassten sie einander wie Teenager an den Fingerspitzen und sprangen leichtfüßig die große Freitreppe zum zukünftigen Konzertsaal hinauf. Und ich konnte nicht anders, als ihnen hinterherzublitzen.
Im Umdrehen zielte Walt Gerringers Zeigefinger auf mich.
Minutenlang blieb ich am Fahrstuhl stehen. Schub um Schub sah ich die Kabine verlassen, mit prüfendem Schritt die Plaza betreten, sich umschauen, ohne sich das Staunen anmerken zu lassen. Mit gebremstem Schritt flanierten sie über die Ebene, pirschten zwischen schmerzhaft gekrümmten Treppen hindurch, betasteten die wellenartig gekrümmten Scheiben, diedoppellagige Rasterfolie, die der Fassade das Glitzern eines schmelzenden Eisbergs gab.
Ich folgte ihren Blicken. Ich wollte sehen, was sie sahen, wollte die Panoramen genießen, die sie genossen, wollte die Köhlbrandbrücke erkennen, den Fernsehturm, die Tanzenden Türme am Nobistor; den Marco-Polo-Tower, das teuerste Gebäude der Stadt. Erst als die letzten Gäste die Freitreppe hochschritten, frisch ausgerüstet mit Sektgläsern und Appetithäppchen, schlüpfte auch ich ihnen hinterher in den Saal.
Mit einem Vorrat an Canapés postierte ich mich am Rand des Auditoriums. Der Saal war für den Abend mit Klappstühlen möbliert; ich starrte hinauf in das zeltförmige Gewölbe. Hier schien der ganze Bau aufwärtszustreben, immer nur aufwärts, bis hinauf zu dem ewigen Gebirge, das auf dem Dach des Gebäudes seine weißen Wellen schlug.
Die Sitzreihen füllten sich. Ich erkannte Torben Beck, der die Arme ungezwungen über die benachbarten Stuhllehnen hängte; ich erkannte die angenehme Melitta Sönderborg. Ich identifizierte Annika Bürkle, die ihre weiße Siamkatze auf dem Schoß wiegte; ich machte Paasi Theodorsson aus, den Produzenten von »Helsinki App«. Paasi redete, mit den Handkanten in die Luft hämmernd, auf den Regisseur Jakob Kurbjuhn (»Das Kontinuum«) ein. Jakob nahm derweil, die Arme
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