Ueberdog
Meer wühlte. Wer in einem solchen Haus wohnte, wurde zu Michel Piccoli, Brigitte Bardot und Jack Palance in einer Person. Und in meinem übermüdeten Blick überlagerte sich das Erinnerungsbild der Filmvilla mit dem wellenbrechenden Schwung der Elbphilharmonie.
Meine Augen folgten dem Satz, den das Gebäude machte, mitten in den Fluss hinein, in die Strömung, dem Sonnenuntergang entgegen. Ich sah die glitzernde Außenhaut, ihr balearisches Flimmern. Ich sah die Dynamik der Linien, die den Umstand verbarg, dass im Inneren des Gebäudes die Bauarbeiten schon seit Monaten stillstanden.
Noch war der Bau eine Skizze, ein grandioser Entwurf. Dort, wo einst das Hauptportal die Gäste empfangen würde, klaffte erst ein schmaler Schlitz in der Mauer. Die Fotografen stellten sich am roten Teppich auf, vor dem Spalier der Mobiltoiletten für die Bauarbeiter, Fototaschen vor den Füßen. Die PR-Chefin von Greystoke rauschte heran, korrigierte die Mauer, feilschte um jeden Zentimeter.
»Hier kommt doch keiner durch«, monierte sie mit professioneller Geduld.
Gehorsam maulten die Fotografen: »Wir machen doch nur unsere Arbeit.«
Es war noch hell, als die Gäste auf die Baustelle strömten. Der Himmel war gespannt und seidig; je schwärzer das Bauwerk zur Silhouette verdämmerte, desto fruchtiger glühten die Aprikosenfarben im Hintergrund. Blitzlichter flackerten auf; geschmeidig, mit dem Katzenschritt aus »Blow Up«, umkurvte ich meine Kollegen, sprang über Pfützen. Ich fand einen unsicheren, aber erhöhten Standort auf einer quer liegenden Tonne. Als Wim Beinhalter und seine atemberaubende Frau Mechthild die Mobiltoiletten passierten, hatte ich das Paar bereits von oben erlegt.
Beinhalters durchschritten das Fotografenmeer, winkten. Demonstrativ tuschelten sie, ohne ihr Lächeln zu unterbrechen. Die Taxis hielten in rascher Folge, entließen Meinhard (»Purzel«) von Gloeden und eine unbekannte Schöne, eng gefolgt vom unerschrockenen Charly Brechmeister, noch immer so unschuldig, unbezähmbar und draufgängerisch wie als Assistenzarzt Felix Doppler in »Die kleine Krebsklinik am Ende der Straße«. Im weißen Wollmantel erschien Amelie Nemerovski, die tollkühne Debütantin, mit Bruder Sascha und Onkel Plinius, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Aida-Melodien trugen die Prozession voran, schwemmten Theresa Weingart herbei und ihren Serienpartner Holm Scheck (»Auf immer und ewig«), Miriam Brockstedt (»Tierheim Stiefelsbrück«) und, herrlich verrückt im Gehrock aus der Thalia-Requisite, Sebastian Rohrbach aus »Verliebt, verlobt, verkracht«.
Ich beschloss, dass ich genug Bilder vom Teppich hatte. Ich sprang von der Tonne und schlenderte ins Innere des Gebäudes,umkurvte Wände aus Pressspan. Unvermittelt stand ich in der Spirale des zukünftigen Parkhauses.
Serpentinen spindelten sich in die Höhe hinauf; ich zählte sieben Ebenen und freute mich über die Zahl. Ich roch den kühlen, feuchten Betonduft, den würzigen Spangeruch der Paletten. Kronleuchter mit Wachskerzen hingen von der Decke, Kandelaber beflackerten Betonwände, beglänzten Gesichter. Heizstrahler glühten gegen die Kälte an, die allmählich das Gebäude erfüllte.
Ich vertraute mich der allgemeinen Aufwärtsbewegung an. Ich folgte Senta Maroon, grüßte Bernward Treusch samt Gattin, fotografierte Nick Bartuscheit und seinen Partner Todd Valencia. Kühn lehnten sie sich über die Brüstung und gaben mir das Victory-Zeichen; ich gab ihnen den Daumen.
Einfach schön, dachte ich, wie sie sich zum Höheren hinwenden . Wunderbar, wie sie sich beharrlich im Kreis schwingen, um sich selbst drehend, als Wächter ihrer eigenen Kräfte, dass sie mitteilend hinaustreten und so durch ihr Verkündigungsamt gegenüber den ihnen Anvertrauten auch an den Kräften der Vorsehung teilnehmen . Ein Kellner im grauen Overall schwebte mit einem Tablett heran; ich nahm einen Orangensaft und stellte ihn gleich wieder ab. Denn in diesem Augenblick rauschte Mireille Dombass heran, überirdisch schön und mindestens im fünften Monat schwanger.
Ich roch ihr Parfum, »Je sais bien quoi« von Badajol. Und plötzlich spürte ich, wie ich zurückfand zum alten Einverstandensein, zum Geheimnis der Zustimmung, zum Ja. Ich spürte, wie es in mir den Mund aufriss, das große, verdammt noch mal lebenswichtige Ja. »Ja«, sagte jetzt auch mein Lächeln; ich konntees fühlen. Ich stellte mir vor, dass auch mein Lächeln die spärlich erleuchteten Räume heller machte. Doch
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