Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
Vom Netzwerk:
überredete, ihn in diese Verbände zu wickeln, ob er sich Verletzungen zufügte oder Knochenbrüche simulierte. Doch ich musste zugeben, dass diese Mullschlingen verwegen aussahen; an Chucks Körper waren es keine Heilmittel, sondern Accessoires.
    Ich hob die Kamera, zielte dem Beamten direkt ins Gesicht. »Haben Sie da was Schriftliches«, setzte der Ältere an, doch der Jüngere fiel ihm ins Wort: »Dann wäre das ja geklärt«, sagte er hastig, bevor ich auch ihn ins Visier nehmen konnte. Dann zerrte er seinen Kollegen zur weiteren Beobachtung der Situation in den Schatten der Imbissbude zurück.
    Als wir aufstanden und Schmiddel folgten, der sich Richtung Alstertor in Bewegung setzte, verlor niemand über den Vorfall mehr ein Wort.

9
    Dass Schmiddel noch immer mein Smartphone in Verwahrung hielt, fiel mir erst wieder ein, als Patrick anrief. Schmiddel meldete sich mit »Ja«, dann versank er in versonnenes Kichern. Ich hörte Patricks Stimme an Schmiddels Ohr, die laut wurde und dann verebbte. Als ich Schmiddel das Gerät vom Ohr nahm, hatte Patrick schon aufgelegt.
    »Ein Anruf für dich«, sagte Schmiddel. »Der hat schon paarmal angerufen.«
    »Wer«, fragte ich mit einer Erregung, die mich ärgerte.
    »Keine Ahnung«, sagte Schmiddel. »Ich hab gesagt, ich weiß nicht, wo du bist. Ich hab gesagt: ›Wenn’s was Wichtiges ist, werden Sie schon noch mal wieder anrufen.‹«
    Dann drehte er sich um und stolzierte, die Hände in den Manteltaschen, von dannen.
    Auf die beleidigten Vorhaltungen, die Patrick unter Suchen und Räuspern im Badezimmer vorbrachte, hatte ich nichts zu entgegnen. Ich weigerte mich, preiszugeben, wer der Mann am Telefon war. Woher sollte ich wissen, wer Schmiddel war? Ich konnte nicht einmal sagen, was Schmiddel für mich bedeutete . Wenn ich mich in jemanden verliebt hatte, dann war es die Gruppe; ihr Charisma, ihre Faszination, die alte schwarze Magie.
    Ich hätte gern Nina Löwitsch angerufen, wie zu unserer Studienzeit, als wir mit unseren Verliebtheiten der anderen straflos auf die Nerven fallen konnten. Warum meldet die Gruppe sich nicht? Warum spricht sie so wenig, und wenn, dann als spräche sie zu sich selbst? Hat unsere Beziehung Zukunft? Findest du nicht auch, dass ihre Lachfältchen hinreißend sind? Soll ich ihr sagen, wie toll ich sie finde? Nutzt sie mich aus? Hat sie vielleicht noch eine andere? Ich habe Angst, ihr meine Freunde vorzustellen. Oft habe ich das Gefühl, es geht ihr nur ums Bett. Du, ich muss Schluss machen, da kommt sie gerade.
    Manchmal stellte ich mir vor, wir wären eine Band. Ich stellte mir vor, wie wir im Übungsraum an den Kühlschrank gingen, bevor wir die Instrumente anschlössen, wie wir Hotelzimmer auseinandernähmen, nicht, um sie zu zerstören, sondern um ihnen Stil zu geben, einen Sinn. Am Schlagzeug Betty, die stumpfe Schweigerin; Zebra, die Intellektuelle, am Bass. Der verträumte Paul an der Rhythmus-, Chuck, die Rampensau, an der Leadgitarre. Zork, der Sänger, mit seiner Kommandostimme und den gefährlichen Blicken; Schmiddel, der Manager, pervers, zerstreut und genial. Und ich selbst wäre die Produzentin, immer im Dienst des Sounds, des Ungreifbaren, in dem das Wesen der Musik liegt. Mein Handwerk wäre es, die Zeichen der Künstler in lesbare Schrift zu übersetzen. Und mein Werkzeug war, naturgemäß, die Kamera.
    Und schließlich stellte ich mir sogar unseren Tod vor, der gewaltig wäre – schwerelos treibend auf der Wasseroberfläche in einem Swimmingpool, bäuchlings, den letzten Blick in die zitternde Tiefe. Oder in der Badewanne eines Pariser Appartements, purpurfarbene Blutergüsse über den Herzen. Ich stelltemir Schlaftabletten vor, die neugierigen Klumpen von Erbrochenen, die andächtig durch unsere Lungen wanderten. Den Blick in die Schrotflinte, oder die Schüsse in unsere taumelnden Körper, gegen Mitternacht, unser lippenstiftrotes Blut auf dem Bürgersteig, das sich stockend ausbreitete, während der Mörder noch ein paar Seiten Fänger im Roggen las. Und endlich wären wir alle wieder siebenundzwanzig Jahre alt.
    Vielleicht hatte es wirklich mit Verliebtheit zu tun. Ich hatte mich verliebt – in die Unwiderstehlichkeit, mit der sie durch den Nebel kamen, über den Köpfen und unter den Füßen die schwarzen, weichen Silhouetten der Eichenblätter. Sie sahen so lässig aus, frech und provokant; die Kamera liebte sie schließlich auch, warum nicht ich.
    Ich mochte Zebras Militanz, ihre Unversöhnlichkeit, ihre

Weitere Kostenlose Bücher