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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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monumentale Humorlosigkeit, wie sie jenseits aller Kompromisse blüht. Ich liebte es, wenn sie Wörter wie »Mietwucher« sagte, »intrigante Lügner« oder »korrupte Ratten«. Und sofort stellte ich mir ihre knochigen, aber flinken Hände wieder an der Kalaschnikow vor oder am Steuer eines Fluchtfahrzeugs.
    Ich mochte Chucks wilde Weisheit, die freundliche Unberührbarkeit des Junkies aus guter Familie, seinen Übermut, seinen asketischen Hedonismus. Ich bewunderte Pauls murmelnde Selbstgespräche mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Augen; es war Poesie, deren Text ich nur noch ergänzen musste. Es war ein tägliches Wunder, seine Millionen Gedanken ans Tageslicht zu fördern, die als unentwirrbares Knäuel in ihm wohnten; zog man am einen Ende, knotete sich der Rest in seinem Innern umso fester zusammen.
    Ich genoss sogar die Angst, die mir Zork einflößte mit seinem pampigen Grinsen, seinen funkelnd blauen Augen und dem flackernden, gestörten Charme darin. Ich sah, wie er rauchte; er blies nicht nur Ringe, sondern Gestirne – Sonne und Halbmond, Jupiter und Saturn, Penis und Vagina. Fasziniert sah ich ihm zu, und Zork fing an zu schreien, einen Liter Gabba im Leib, mit seiner bösen, strahlenden Stimme: »Wer ist diese Kuh, und warum starrt sie mich an.«
    Ich wusste, dass es keine Schönheit gab ohne Gefahr. Bald stellte ich fest, dass er Frauen hasste; selbst an seiner Schlaflosigkeit waren sie schuld. »Überall sind die«, sagte er. »Ich kann die riechen. Die riechen wie Pferde, wie junge, gewaschene Pferde. Da machst du kein Auge zu.«

10
    Manchmal beobachtete ich die Gang aus der Ferne. Ich saß in der Bodega Nagel gegenüber und aß ein Kotelett mit Senfgurken. Und selbst wenn sie nicht da waren, saß ich dort von Zeit zu Zeit am Fenster, starrte auf den Bahnhofsvorplatz und spürte, wie die Abwesenheit der Gruppe ein Vakuum herstellte, das die Scheiben zittern ließ.
    Manchmal fragte ich mich, was sie von mir erwarteten. Ich hoffte nur, dass es nicht Geld war. Einmal, als mir Chuck die offene Hand vor die Nase hielt, bekam ich einen Schrecken. Ich stellte mich dumm, bis Chuck die Finger schloss, die Faust herumriss und mir dann noch einmal die offene Handfläche präsentierte, auf der jetzt ein toter Schmetterling lag. Erleichtert fotografierte ich das zerknüllte Insekt.
    Die Vorstellung, ihre Freundschaft mit Geld erkaufen zu müssen, war mir zuwider. Ich wusste ja, wie naiv die Idee war, dass es Liebe nur gegen Liebe gibt, Freundschaft nur gegen Freundschaft. Aber ich hatte sie erlebt, die Sammler, die ein Gemälde bezahlten, um den Maler zu kaufen; die Anwälte, Reeder und Kakaospekulanten, die sich Schriftsteller und Schauspieler auf ihre Gartenpartys einluden, und dazu noch ein paar Fotografen wie mich, um ihre Erwerbungen zu dokumentieren.
    Aber irgendwann pinkelten die Künstler ihnen dann immer in den Kamin.Dass ich aufhörte, mich zu schminken, fiel Patrick früher auf als mir selbst. Ich lachte; dann zog ich mit der Gang ins Zoologische Museum, wo der Eintritt frei war und das Licht wie Moos. Knapp nickten wir einander zu, hoben die Plastikbecher aus dem Wasserspender, Safarijäger beim Morgenkaffee, Blechtassen umkrallend am heruntergekohlten Feuer. Wir schlugen einander auf die Schultern, mit leichtem Ekel nach all den Wochen der Nähe, der gemeinsam überstandenen Gefahr. Braun- und Kodiakbär erstarrten in Tanzhaltung, der Schneeleopard verhoffte im Kunstschnee. Der Sibirische Tiger streckte sich zu sehnsüchtiger Länge. Wie saßen zusammen, einfach so; wir redeten, wir lachten und versanken in unser virtuoses Schweigen, das ich jetzt erst zu schätzen lernte. Im Tropenhaus von Planten un Blomen, zwischen ägyptischen Fächerpalmen und Brotfruchtbäumen, lagen wir im Sand, in der Urwaldschwüle, aßen Jackfrüchte, atmeten seltsame Düfte nach Brie und Flieder. Exotisch schrien Vögel, balgten sich um Bäume. Riesige Blätter flappten vor dem Glasdach, und Paul gurgelte selig im Tropenkoller.
    Irgendwann trollten wir uns immer zum Mittagsschlaf ins SUN CITY an der Grindelallee. »Der einzige Ort, wo man im Sommer Schatten hat«, sagte Chuck, exquisit braungebrannt. Als ich Geld einwerfen wollte, hielt Chuck meine Hand fest; zögernd breitete ich mich auf dem Rost aus. Mit leichter Beklemmung sah ich, wie er den Deckel über mir schloss; dann war es dunkel und still. So stellte ich mir die Samadhi-Tanks von Sri Lanka vor, auf die Nana von Theuningen schwor. Nach einer

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