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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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weiterschmieren konnte. Ich hob die Brauen, spitzte störrisch den Mund und wandte mich dem Käse zu.
    Wenn ich allein zu Hause war, wanderte ich jetzt durch die Wohnung wie ein Zootier. Ansatzlos wendete ich an der Heizung im Atelier, marschierte entschlossen auf die Schlafzimmertür zu. Für eine Weile stand ich am Fenster, ohne meine Gedanken zu vermissen. In der Küche räumte ich die Zwiebeln ins Gemüsefach des Kühlschranks, machte mir einen Ingwertee, trug ihn ins Wohnzimmer. Ich stand auf, um das Wohnzimmerfenster zu schließen; als ich mich an der Heizung wiederfand, kontrollierte ich kurz, ob ich schon den Kopf schwenkte wie ein Eisbär.
    Ich starrte die nackte, weißgetünchte Wand an. Ich begann, Papierabzüge mit Klebestreifen auf ihr zu verteilen; Bilder von Schmiddel und Zork, von Zebra, Chuck, Paul und Betty. Ich fragte mich, ob nicht auch Nina Löwitsch nur fotografierte, um die Wände hinter den Bildern nicht mehr sehen zu müssen, die unzähligen Wände ihres neusachlichen Berliner Paradieses.
    Manchmal glaubte ich, dass auch Nina Wände hasste; dass sie angetreten war, sämtliche Wände der Welt zu zerstören. Vielleichtwaren die Bilder, die sie anhäufte, Quadratmeter um Quadratmeter, nichts anderes als ein unermüdlicher Kampf gegen die Wände, ein Kampf um ihre Auflösung, um ihre Vernichtung. Und ich wusste, dass Nina diesen Kampf nicht gewinnen konnte; denn aus den vier Wänden ihrer Studienzeit waren längst vierzig geworden, vierhundert, ständig vermehrt um Hotelzimmerwände, Lagerhallenwände und Studiowände in umgebauten Bunkern.
    Ich stellte den Fernseher an. Die Moderatorin sprach über die Reichen und Schönen und meinte Hertha Freifrau von Thun. Ich schaltete den Fernseher ab, stieg aufs Fahrrad und machte mich auf den Weg zur Brücke.
    Morgens bemühte ich mich, ihr Aufwachen nicht zu verpassen, den kostbaren Moment des Tagesbeginns. Ich hatte die Nikon bereit, wenn Chuck das Gesicht aus der Kapuze schälte, wenn Zebras Schnarchen in seidiges Kratzen überging, wenn Schmiddel wie ein Schweizer Offiziersmesser in die Senkrechte klappte. Ich drückte ab, wenn Zorks Morgenschrei dafür sorgte, dass auch Pauls Haarmob sich endlich aus dem Schlafsack schob.
    Ich folgte ihnen zur Morgentoilette in den kleinen Toilettenbungalow am Abhang des Bismarckdenkmals. Und irgendwann landeten wir dann wieder am Hauptbahnhof, in den silbernen Klangwolken Haydns, Scarlattis und Telemanns. Der Gabba lief die Kehle hinab wie Lava, und Schmiddel nahm die Sonnenbrille ab und blickte visionär aus schmalen Augen. Und jetzt sah ich sie endlich, die Augen, starr und blass, wie Gesine sie beschrieben hatte; sie strahlten derart, dass sie eigenartig farblos waren .
    Als ich mit Zebra vom Stadt München zurückkam, vom Etagenbad im fünften Stock (»Je höher, umso besser«, hatte Zebra im Fahrstuhl gesagt. »Ist nicht nur ruhiger. Gibt auch ein besseres Gefühl«), hatten sich zwei Beamte der Bahnhofsaufsicht vor unserem Stützpunkt aufgestellt.
    »So, Herrschaften«, sagte der Ältere gerade. »Jetzt packen wir mal zusammen und gehen nach Hause. Der Platz hier ist für den Reiseverkehr da.«
    Schmiddel blinzelte die beiden an, als müsse er sich erinnern. Er stand vor ihnen wie ein Präsident; als wäre er zum Bahnhof gekommen, um die Delegation irgendeines Mosambiks oder Vanuatus zu empfangen, ihre lachhaften Handelsbeziehungen, die Zumutungen ihrer Freundschaft. »Oh«, machte er schließlich. »Oh.«
    Der jüngere Beamte, ein dünner Mann mit Drahtbrille und plattgedrücktem Seitenscheitel, wandte sich, wohl ermutigt von ihrem trügerisch milden Gesicht, an Zebra: »Gute Frau«, sagte er. »Machen Sie es uns doch nicht so schwer.«
    Zebra packte das Halstuch ihres Hundes, der gemütlich, aber ausführlich zu knurren begann. Jetzt hatte der Ältere meine Kamera entdeckt: »Was machen Sie denn hier«, sagte er und zeigte auf den Apparat, der jetzt vorkragte wie ein bizarrer Auswuchs.
    »Wir machen eine Fotoproduktion«, sagte ich lauter, als ich wollte. »Im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung.«
    Der blonde Afghane blickte mürrisch zur Seite, nahm einen guten Schluck aus der Flasche. Ich sah den bandagierten Knöchel, der unter den Streifen des Hosenschlags aufblitzte. Oft hatte ich mich gefragt, wo Chuck seine Verbände herhatte; fast jede Woche präsentierte er einen neuen, am Arm, am Kopf,manchmal sogar am Bauch. Ich fragte mich, ob er die Ärzte im Tropenkrankenhaus immer wieder dazu

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