Ueberdog
ich vor. »Was zum Tanzen.«
Schmiddel sah mich an; er zeigte sein schönstes, scheuestes und souveränstes Lächeln. Offenbar nahm er meinen Vorschlag an; andächtig drehte er den Regler. Scheppernd erklangen die ersten Takte von »Take My Time«. Es folgte »Ain’t No Woman Hard Enough« von Brick Brown, dann knödelte Zoot Mitchell »Merciful People«. Schmiddel stand da, das Gerät in der Hand, als könnten seine Finger singen. Seine Füße bewegten sich keinen Zentimeter.
Ohne mich umzudrehen, konnte ich spüren, wie jetzt einer nach dem anderen den Konzertsaal betrat. Das Klangdesign sog sie alle hinein, in seine kosmische Blase. »Komm, lass uns tanzen«, schlug ich vor, berauscht von meiner eigenen Verwegenheit. »Hey, das ist Musik.«
Schmiddel blieb starr. Also begann ich, selbst mit dem Oberkörper zu wiegen. Ich begann, mit den Füßen zu zucken; ich ließ mich bewegen von der eigenen Bewegung. Und jetzt sah ich, wie auch Betty die Haare zurückwarf und in ihren wuchtigen Mammuttanz fiel, den ich von Schwanthalers Party kannte, und sie tanzte auch noch, als »Keine Feier ohne Meier« ertönte, abgelöst von »Tell Me You Are My Everywhere«. Jetzt machte auch Chuck mit, sogar Paul, der sich in Raserei steigerte. Er boxte in die Luft und schüttelte sein langes, dünnes Haar.
Es dauerte nicht lange, bis auch die anderen immer selbstverständlicher begannen, sich zu bewegen. Nur Schmiddel stand unverrückbar auf dem Podium. Standhaft reckte er das Transistorradio in die Luft, mit einer unberührbaren, fast schmerzhaften Würde.
Ich wurde übermütig, tanzte Zork an. Zork sah mich nicht; er wand sich längst in einer seiner selbstgenügsamen Posen. Erlegte die Hände in den Nacken, schloss die Augen, stach mit den Ellbogen in die Luft. Er tanzte, ohne die Füße zu bewegen; nur die Knie rotierten in langsamen, fast schmerzhaften Kreisen. Als ich auf ihn zutanzte und ihn beim Hüftschwung leise am Arm streifte, gab er die Deckung auf. Ohne die Augen zu öffnen, versetzte er mir einen raschen, unkonzentrierten Hieb.
Ich hielt mich an Zebra, die mit ausgebreiteten Armen auf mich zukam. Sie kreuzte die Arme und packte meine Hände; dann drehten wir als Mühle durch den Raum. Als wir atemlos vor Schmiddel standen, der in Statuenhaltung verharrte, entdeckte ich zum ersten Mal ein Lächeln in Zebras mütterlich bitterem Gesicht.
Von nun an begann jeden Abend, wenn die Sonne in die Elbe sank und in den Bürohochhäusern am Nordufer die Lichter angingen, der Tanz. Wir standen im Penthouse am Panoramafenster, hoben die Gabba-Flasche, starrten durch die frostig schimmernde Flüssigkeit ins schwindende Licht. Wir warteten, bis die violette Nacht die Umrisse der Kräne und Schiffe schärfte. Dann verließen wir das Schauspiel, schlenderten hinunter zum Fitnessraum, nahmen den Fahrstuhl zur Plaza im achten Stock. Michel und Columbus-Tower warfen milde, sommerliche Reflexe durch die Fenster; wie auf ein Kommando rannten wir dann die Treppen zum Konzertsaal hoch. Kreischend und voller Vorfreude verteilten wir uns im Raum. Und Schmiddel, der König der Nacht, setzte sein Schamanenlächeln auf und brachte den Saal zum Kochen.
Unser kollektives Glück durchdrang bald die Mauern, strahlte aus in die Stadt. Es fing an mit den beiden schottischen Bildhauerinnen,die Zork eines Abends in die Philharmonie brachte; ihre nackten Bäuche bebten noch von der Erregung beim Hangeln über dem Fluss. Unter Zorks Führung klommen sie die Röhre hoch, machten skeptische Gesichter, als Chuck sie mit der Gabba-Flasche begrüßte. Sie tuschelten, als Schmiddel das Transistorradio reckte, als Paul und Zebra auf das Podium schlenderten und die Haare zum Schleiertanz durch die Luft wirbelten. Doch dann ergaben auch sie sich der Selbstvergessenheit, und zappelnd beteten ihre Arme dem Himmel entgegen, als das Radio »Sweet Little Trampoline« von Amoeba spielte.
Von nun an kamen Abend für Abend Fremde in die Philharmonie. Es kamen Kunststudenten, die zunächst etwas fröstelten in ihren bedruckten T-Shirts und der klammen Grandiosität der Hallen. Es kamen Kiezstreuner mit dünnen Menjoubärtchen, auch alte Bekannte vom Hauptbahnhof, mit Bärten aus Drahtwolle und Parkas mit Hoheitszeichen. Später kamen die Werberinnen mit den Karojacketts über den kniefreien Jeans, die Kampnagel-Schauspieler mit ihren Truckermützen, die Accessoire-Models, die Lippen geschminkt in der Farbe frisch verheilter Narben. Manche hatten den Einfall, Getränke
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