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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Einsamkeit. Ich konnte Mitleid mit der fremden, seltsamen Frau haben, die jetzt nicht nur Zorks Säureblick ausgesetzt war, sondern auch den feindseligen Augen Chucks und Zebras.
    Aber ich merkte, wie etwas in mir jetzt ihre Demütigung wollte . Dass Schmiddel und seine Leute sie genauso duldeten wie mich, hatte ich immer als Beleidigung empfunden – Betty mit den Pandaaugen, Betty mit den aufgeregten Brüsten und den Stoppeln auf dem Kopf. Betty, die nie sprach, die keinen Spaß verstand, die nicht mitmachte, wenn die anderen auf Hüpfburgen Saltos schlugen oder auf einem Gullideckel eine Taube grillten. Betty, die sich für nichts interessierte als Gabba, Gabba und nochmals Gabba; ein Faultier, das seine haarige Masse an Engel hängte und sie am Fliegen hinderte.
    Und jetzt hatte sie uns die Stimmung verdorben. Es war, als hätte der Tag sich bewölkt; plumpe Vögel sackten aus dem Himmel. Betty hatte jetzt den Kopf zwischen den Knien. Hoffentlich fängt sie jetzt nicht wieder an zu kotzen, dachte ich, als an den Landungsbrücken drei Kontrolleure die S-Bahn betraten.
    Die drei Männer schwenkten ihre eingeschweißten Ausweise. Sie beugten sich mit flüchtigem Blick über die Bankreihen undschritten mit knappem Nicken voran. Einer trug auf seiner Glatze, über den wulstigen Nackenfalten, eine Lederkappe, als käme er vom Abschlussball der SM-Akademie. Einer hatte seine Jeansweste mit Abzeichen spanischer Fußballvereine benäht, fast verdeckt von einem Pferdeschwanz, den er offensiv auf der Brust trug. Der dritte steckte, an diesem magischen Sommerabend zwanzig Meter über der Elbe, in Motorradstiefeln aus den Achtzigern, die ihm bis zu den Knien reichten.
    Mit ausgesuchter Höflichkeit nahm der Lederkappenmann die Personalien eines der Angestellten in Torriani-Anzügen auf, der vorgab, seine Fahrkarte vergessen zu haben. Derweil baute sein gestiefelter Kollege sich mit einem Ausdruck hämischer Vorfreude vor uns auf, als kenne er seine Pappenheimer.
    »So, dann mal bitte die Fahrausweise«, sagte er und sah von einem zum anderen. Dann blickte er aus dem Fenster, auf den Hafen, auf die munteren Barkassen der Hafenrundfahrer. Ich warte, sollte das heißen. Als er merkte, dass sich bei uns nichts regte, kein hastiges Suchen, kein verlegenes Rücken, wurde er ungeduldig.
    Ich sah mich um. Diese Männer sahen uns ähnlicher als alle anderen in diesem Waggon. Auf den ersten Blick schienen sie uns verwandter als die Migranten-Teenager in ihren weißen Blousons, als die Rentner in ihren farblosen Windjacken, als die Torriani-Anzüge. Und trotzdem spielte sich der Gestiefelte jetzt zum Kapo auf.
    »Los, Kameraden, jetzt aber bisschen flott«, sagte er. »Wir wollen doch alle mal Feierabend machen.«
    Paul war der Erste, der mit der Pantomime anfing. Er zuckte mit den Schultern, winkelte die Arme aufwärts, wackelte mitden Händen hinter den Ohren. Zebra nahm den Impuls auf, streckte die Arme nach vorn, ließ die Handgelenke kreisen. Schmiddel, Chuck und Zork blickten aufmerksam zwischen Paul und Zebra und dem Kontrolleur hin und her. Auch die Kollegen des HVV-Manns ließen von ihren Opfern ab und verfolgten Pauls und Zebras stumme Rede.
    Auf der anderen Seite des Gangs hatte Betty ihre Gabba-Flasche unter den Sitz gleiten lassen. Das Gefäß rollte im Zickzack durch das Abteil, kam endlich zwischen den Beinen eines Rentnerpaars zum Stillstand. Paul legte jetzt die Fingerspitzen zum Dach zusammen, schwenkte die Ellbogen. Zebra sah ihn an und begann, eifrig zu nicken; dann nahm sie Pauls Geste auf, und Zebra und Paul begannen ihren Sitztanz, ihre Wiegebewegungen mit gefalteten Händen, den Blick des Kontrolleurs suchend, als müsste der doch endlich verstehen.
    Es lag auf der Hand, dass der Mann ratlos war. Er sah in Schmiddels Gesicht, in Zorks Gesicht, in mein Gesicht; er stieß auf mitfühlendes Interesse. Er blickte zurück zu Paul und Zebra, die ihre Anstrengungen verstärkten, die immer eifriger fuchtelten; jetzt kreuzte Zebra die Arme, wischte dann den rechten Arm heftig zur Seite, und Paul tat es ihr nach.
    Der Kontrolleur drehte den Kopf, ohne seine drohende Haltung aufzugeben. »Nico«, rief er nach hinten ins Abteil. »Kommst du mal.« Nico packte die Knopfleisten seiner Jeansweste und stapfte kampfbereit nach vorn.
    Seine Stimme war höher, als ich erwartet hatte. Es war die Stimme eines verwöhnten Schönlings, eine Kai-Trechel-Stimme, oder Marco Rott als Doktor Biermann. »Was los«, quäkte er.

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