Ueberdog
warten. Schon die Rückbank des Autos bot kaum Platz für vier Passagiere. Seiner Idee hatte Chuck es zu verdanken, dass er ohne Diskussion den Platz am Steuer bekam. Ich teilte mir mit Zebra den Beifahrersitz; Betty, Paul und Schmiddel drückten sich auf die Rückbank. Zork saß auf der Lehne; die Gabba-Flasche in der Rechten, konnte er sich nur mit einer Hand festhalten. Im CD-Spieler lag »Celebrate« von Laura Flynn.
Bald fuhren wir die Elbchaussee entlang. Wir fuhren hoch über dem Fluss, den Duft von Tang, Feuer und Schiffsbenzin im Fahrtwind, in den offenen Nüstern. Zebra schlug vor, für eine kleine Grillparty anzuhalten, irgendeine von denen da unten, wenn möglich eine mit Juristen. Zork und Schmiddel schüttelten die Köpfe. Wir wussten, dass man, wenn man fuhr, nicht mehr anhalten durfte, sogar an Ampeln nur im Ausnahmefall.
Ich fragte mich, ob es nicht das war, wovon ich geträumt hatte in den Schulpausen, an den papierenen Abenden im verrammelten Kiosk meiner Eltern. Ob es nicht das war, was ich später gesucht hatte in den Nächten im Dodocop oder im Hoochie Coochie, wenn ich mit Melanie Pankraz an der Wand stand, gegenüber der Bar, und Gin Tonics trank. Am Tresen standen Menschen, die Maler sein konnten, Musikerinnen oder Models, und Melanie verlief sich in Ratespielen: »Ich glaube, die hat mal mit Ben LeBrock gearbeitet«, oder: »Der sieht aus, als ob er die Visuals für Pia Luisa macht.«
Wir waren blind wie Katzenbabys gewesen in diesen ausgehenden Jugendtagen; kein Wunder, dass uns nicht viel in die Fänge kam. Ich küsste einen Lackiererlehrling, nur weil er Farbflecken auf den Jeans hatte wie die Malergötter von der Galerie Meyerbeer. Und den stillen, feinen Meredith Cooper, Produzent von »Sieben Tage Silber« und »Loreanna«, der mit mir nach Algier wollte, lachte ich aus, nur weil er eine Brille wie der Sozialsenator trug.
Und Patrick – Patrick hatte ich dann genommen, obwohl er Patrick war.
Manchmal hatte Melanie verkündet, wie gern sie ein paar Jahrzehnte früher geboren wäre, rechtzeitig für das New York der Sechzigerjahre, für die Factory , in der es auf viertausend Quadratmetern nicht einen einzigen unbedeutenden Menschen gab. Irgendwann kam dann regelmäßig einer der Männer vom Tresen auf uns zugeschlendert, erzählte von seinem Komparatistikstudium oder seiner Arbeit in einem Secondhandladen. Und ich flüsterte in Melanies Ohr und schlug vor, noch ins Tribeca zu fahren und vielleicht später noch zum Tanzen ins Xox . Undirgendwann endete die Nacht im Morgengrauen auf dem Elbbalkon, über dem Firmament der Hafenlichter. Und Melanie seufzte, wenn die Kräne aufwachten und einer von ihnen langsam, ganz langsam, begann, sich nach uns umzudrehen.
Vielleicht, dachte ich im marineblauen Audi, in der Wärme von Zebras Körper auf dem Beifahrersitz, würde mich Melanie jetzt beneiden. Ich wohnte im coolsten Haus der Stadt, in dem es auf viertausend Quadratmetern keinen einzigen unbedeutenden Menschen gab. Und jetzt fuhr ich mit Schmiddel, mit Chuck, Zork und Betty, mit Paul und Zebra an unserer alten Sehnsuchtskulisse entlang, an den sanft glühenden Stirnen blinzelnder Engel.
Am Anleger Teufelsbrück verließen wir den Fluss Richtung Norden. Chuck hatte das Bedürfnis, die Autobahn unter den Reifen zu spüren. »Das ist ja kein Fahren hier«, sagte er mit abruptem Ernst.
Es war nicht seine Schuld, dass uns kurz vor Osdorf das Benzin ausging. Souverän ließ er, auf dem Parkplatz des Elbe-Einkaufszentrums, den Wagen ausrollen.
In der S-Bahn sprachen wir nicht viel. Ich schloss die Augen; mir war, als spürte mein Hintern noch die muskulöse Sitzlandschaft des Audi, und ich konnte nicht verhindern, dass ich einschlief.
Ich öffnete die Augen, als ich Zorks Stimme hörte. »Hau ab, du Möhre«, bellte er. Ich sah, wie Betty ihm beidhändig einen Stoß versetzte und sich auf die andere Seite des Mittelgangs verzog. Selbst Schmiddel, der Allesverstehende, blickte streng; nur Paul, der sanfte Weise, starrte in seinen Schoß und putzte seine Brille.
Offensichtlich war es Betty gelungen, sich die Gabba-Flasche zu verschaffen; jetzt saß sie sicher auf dem anderen Ufer. Senkrecht hielt sie die Flasche an die Lippen und schielte mit herrischem Funkeln zu Zork herüber, der sein bösartigstes Lachen anschlug.
Ich wusste nicht, was ich von Bettys Haltung halten sollte. Manchmal konnte ich Gefallen an Bettys Rotzigkeit finden, ihrer Unabhängigkeit, ihrer herausfordernden
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