Ueberdog
in den Jacketttaschen herein. Theodor Reiss, der Mode, Technologie und Architektur vereinte wie kaum ein anderer Designer, saß gekrümmt auf dem Boden, formte Kegel aus Anchovispaste.
Nach einer halben Stunde fand ich Schmiddel wieder. Mit linkischem Lächeln starrte er an mir vorbei. Er drehte sich um, und ich folgte ihm, ohne zu wissen, was er vorhatte. Mit herrischer Geste patrouillierte er durch die Räume; er nickte den Gästen zu, leerte Aschenbecher in Topfpflanzen, hob hier ein Glas auf, trocknete dort eine Pfütze mit dem Ärmel.
Zebra fanden wir schlummernd hinter einem schwarzen De-Grasse-Sofa.Paul bildete im maurischen Saal ein ruhig atmendes Knäuel mit den Dalmatinern Sandra-Zerline Gerlachs, die daneben auf einem Rattanstuhl saß und von Zeit zu Zeit unentschlossen an den Leinen zog. Betty saß in einem Ohrensessel, einem Unikat von Thorben Magnusson, die taubenblauen Lider gesenkt, die Arme hingen entspannt über die Lehnen. Schmiddel hob ihre Füße vom Boden; sie klappten auseinander wie ein Buch. Ich begriff, trat hinter den Sessel und schob ihr die Hände unter die Achsel. Als wir Betty aufhoben, pendelte ihr Kopf zur rechten Seite.
»Ist besser«, sagte Schmiddel und nickte. »Der gute Sessel.«
Die Tür zum Badezimmer öffnete er mit der Hüfte. Unschlüssig standen wir mit unserer Last vor der Wanne, in der schon Chuck lag, gebettet in ein Nest aus Handtüchern, Schlüpfern, herausgerissenen Seiten des Cicero und den eigenen Haaren. Mit einer knappen Kopfbewegung zeigte Schmiddel auf die Wanne; gemeinsam mit mir legte er Betty zu dem schlafenden Grafen.
Erschöpft ließ er sich dann auf den Klodeckel sinken. Er fummelte eine geschnorrte Zigarre aus der Manteltasche und steckte sie, die Augen zusammengekniffen, in den Mund. »Eine Zigarette küsst man«, sagte er, »aber eine Zigarre beißt man.« Er bot auch mir eine an; hustend rauchte ich, bis Schmiddel fertig war. Dann schritten wir zum Ausgang, vorbei an Cherno Salzkorn und Fred Ferdydurke, die sich im Musikzimmer um eine Schüssel mit Crevettensalat balgten.
»Alles klar«, sagte Schmiddel. Ich folgte ihm zum Ausgang. Ich sah, wie er Visitenkarten verteilte; ich sah seine knappen Verbeugungen. Auch Sergej Hofkötter, Marius Kreyenbaumund Briona Wesseltoft kramten in ihren Brieftaschen und drückten Schmiddel ihre Karten in die Hand. »Hat mich gefreut, Herr Hofkötter«, sagte Schmiddel und: »Küss die Hand, Frau Wesseltoft.« Die gaben, nach einem Blick auf die Karten, den Gruß zurück.
»Na, dann bis zum nächsten Mal, Herr von Buttlar.«
»Man sieht sich, Herr Doktor Spiel.«
»Herr Lindemann, war mir ein Vergnügen.«
Draußen, im Park der Villa, wurde Schmiddel noch einsilbiger als zuvor; ohne eine Wort wankte er auf den chinesischen Pavillon zu. Ich war noch nicht müde, und mit immer weiter ausgreifenden Schritten lief ich durch die Straßen, bis ich den Fluss erreichte. Die Flaschen voll Courvoisier und Amaretto, mit denen die anderen am nächsten Nachmittag wieder in der Philharmonie erschienen, die Pumpernickelschnittchen mit Flusskrebssalat und Rohmilchkäse, der Crevettensalat, die Wachtelbrüstchen und der Hummer reichten noch für Tage.
15
Eines Tages hörte ich, als ich über die Plaza ging, Mahlers »Kindertotenlieder«. Sie klangen dünn und zugleich dringlich, wie die fernen, aber anhänglichen Seelen der verschwundenen Kleinen, wie angefüllt mit einer mächtigen Präsenz, die aus einer Abwesenheit wächst. Ich ging die Treppe zum Konzertsaal hoch. Drinnen stand Schmiddel auf dem Podium, sein Transistorradio am Ohr.
Schmiddels Transistorradio war ein tschechisches Modell. Es war über zwanzig Jahre alt; Heftpflaster hielten die Teile zusammen. Als Schmiddel noch unter der Brücke gewohnt hatte, war er oft abends, wenn ihm die Gespräche zu sentimental wurden, zu wirr oder zu wild, allein den Hang zum Bismarckdenkmal hinaufgestiegen. Dort hatte er sich unter eine Laterne gelegt und seine Sinfonien gehört.
Jetzt dröhnte die Musik durch den Raum. Das japanische Klangdesign, simuliert am Eins-zu-zehn-Modell mit zweitausend Filzpuppen und empfindlichen Mikrofonen, stärkte und sättigte den Sound. Es versah die Schallwellen mit der optimalen Reflexionszeit von 2,2 Sekunden. Schmiddel hatte die Augen geschlossen; sein Mund spitzte und entspannte sich mit den Tönen. Ich hob die Nikon und machte ein Foto; Schmiddel öffnete die Augen und sah mich mit verstörtem Blick an.
»Mach mal was Lustiges«, schlug
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