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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Geste aus dem Handgelenk. »Dann viel Vergnügen«, sagte er übertrieben laut zu seinem Kollegen. Der sah mich an, als wäre ich der einzige berechenbare Faktor in dieser konfusen Lage.
    »Na also«, sagte ich. Hinter mir, vom Gartentor, hörte ich Gelächter, darin eine Männerstimme. Ich erkannte den Bass Ursli Mergenthals, des Siegfrieds von Basel; ich trieb die Freunde zur Eile an. Drinnen verzog ich mich ohne Aufschub auf die Toilette.
    Lange genoss ich das Aroma der Putzmittel. Ich zapfte einen türkisfarbenen Schwall aus dem Seifenspender, verrieb ihn in meinem Nacken. Als ich vor die Tür trat, hatte sich die Gruppe glücklich zerstreut, und ich hatte meine Ruhe wiedergewonnen.
    Ich schlenderte unter Kronleuchtern hindurch, unter Kassettendecken, durchquerte Salons mit Seestücken an der Wand. Ich spürte, wie mich eine Art Hochmut erfasste; ich sah reife Männer in identischen Anzügen, ihre zurückgeworfenen Schultern, ihre übereinandergeschlagenen Arme; sie sahen aus wie Kellner, die auf die Bestellung warteten.
    Ich erkannte die Sopranistin Sandra-Zerline Gerlach, in den Händen die Leinen mit den dahliengeschmückten Dalmatinern. Der Impresario Lew Przemysl beugte sich mit züngelndem Schal über eine hydrantengroße Dame in einem togaartigen Überwurf; ich glaube, es war Berenike Schwielow. Perko Janowitz schloss die rechte Hand um drei Finger Virna von Bastens, verdrehte ihren Arm zu einer seltsamen Schraube.
    Der göttlichen Beatrice Schwanthaler wich ich aus; von fern sah ich zu, wie sie Tyll Nikodemus begrüßte und wissend lächelte, als sie die drei jungen Frauen in Tylls Gefolge sah. Ich glitt weiter über das Parkett, watete durch Teppiche, streifte eine Regalwand entlang; die Bücher waren nicht alphabetisch sortiert, sondern nach Notenwerten: A, H, C, D, E. Leise summte ich mit; ich spürte die Schwingungen meiner Organe.
    Kurz dachte ich an Nina Löwitsch, ihren Hass auf die Lüge, ihren unerbittlichen Willen zum wahren Glanz. Schwach dämmerte mir, dass Nina dieses Fest vermutlich schon nach fünf Minuten verlassen hätte. Ohne Zorn hätte sie sich umgeschaut, abwesend an einem Glas Barolo genippt und es achtlos stehengelassen, unbekümmert um den krustigen Rand auf dem Mahagoni. Ihre wilden Begleiter, die mit gleichfalls entleerten Gesichtern hinter ihr durch die Zimmer patrouilliert wären, hätte sie dabei nicht angesehen, hätte nicht einmal mit ihnen getuschelt; kein Verengen der Augen, kein Grinsen um die Mundwinkel hätte ihren Spott verraten. Dann hätte sie auf die Uhr gesehen, als hätte jemals in ihrem Leben die Uhrzeit den Ausschlag gegeben für irgendetwas.
    Und jeder ihrer Gefolgsleute, der diesen Blick gesehen hätte, hätte sein Glas beiseitegestellt, auf irgendein Intarsientischchen,irgendein stummes Klavier, und wäre Nina zum Ausgang gefolgt. Bis auf den einen, dem immer alles egal wäre und der noch einmal einer der dünnlippigen, vor Ungeduld langsam gewordenen Servierinnen ein Glas Barolo und ein Glas Sancerre vom Tablett gepickt hätte, um sich noch vor dem Abschied gleichzeitig Rotwein und Weißwein in beide Mundwinkel zu gießen.
    So dachte ich an Nina Löwitsch, und Trotz stieg meine Speiseröhre hoch. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, etwas erreicht zu haben, das Ninas Erfolgen ebenbürtig war; das Gefühl, sie auf ihrem eigenen Feld zu besiegen. Ich bildete mir ein, dass ich mir endlich das Recht erworben hatte, meine eigenen Regeln zu machen, und einen Standpunkt, der mir erlaubte, sie zu einem Spielchen nach diesen meinen Regeln aufzufordern. Ich spürte einen überwundenen Neid auf Nina Löwitsch, der sich wie Frieden anfühlte. Und so verkapselt war ich in meinen himmlischen Frieden, dass ich den Radau, der plötzlich aus Nikolaus Schwanthalers Salon dröhnte, nicht sofort als Musik erkannte.
    Außerhalb des Konzertsaals duldete Nikolaus Schwanthaler nämlich keine Musik. Doch jemand musste den Fernseher gefunden haben oder ein Radio. Ich trat durch die Flügeltür in den Salon, traf auf eine Wand aus Rücken; routiniert schlüpfte ich hindurch. In der Mitte des Kreises erkannte ich Betty.
    Betty war glorreich betrunken. Ihr Tanz war nur noch ein letzter Versuch, das Gleichgewicht zu halten. Eine faszinierte Menge sah zu, wie sie ein Knie anzog und ihr rechter Fuß diagonal vor dem linken landete; wie die Arme durch die Luft ruderten, wie ihr Kopf taumelte, als wären die Halssehnen durchschnitten. Jedes Mal, wenn der Kopf auf die Brust sackte,

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