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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Herbst überfiel die Stadt mit einem Temperatursturz. Schmiddel verlegte unsere Soireen aus dem Großen in den Kleinen Konzertsaal. In der Mitte des Raums türmten Zork und Chuck die Geldzeitung -Stapel, die der Sommer angestaut hatte, zum Scheiterhaufen, umrahmten ihn mit Betonblöcken. Ich sah den Stolz im Blick des Literaturagenten, den Zebra um Feuer bat, ihr Terroristenlächeln, als sie das Streichholz an den Papierberg hielt. Verspielt blies Paul in die Flammen. Schmiddel wich zurück, als die Funken flogen; dann griff er zum Transistorradio.
    Es war noch einmal ein starker, fast prähistorischer Moment, als die Ersten begannen, um das Feuer zu tanzen. Ein Paar machte den Anfang, ein dünner, langhaariger Mann mit tiefen Augenwülsten und eine Willendorfer Venus im Petticoat. Sie beugten die Rücken, warfen die Knie, gruben mit den Armen in der Luft, als wäre es Erde. Schmiddels Radio spielte »Wenn du mir zuhörst, muss ich weinen«, und von irgendwoher galoppierte ein Pudel auf die Tanzfläche und begleitete das Geschehen mit wütendem Kläffen.
    In diesem Moment erschien Amy in voller Leibhaftigkeit. Haltlos schlenkerte der Kopf. Ihre Arme schwappten, der Flügelschlag einer teerverklebten Möwe. Mitten im Tanz blieb sie stehen. Ein Zittern ging durch ihren Leib, und ein rötlicherSchwall, der im Licht glühte, brach aus ihrem Mund und überschwemmte den Pudel.
    Alle starrten auf Amys Nase, den armdicken Katarakt, der darunter hervorschoss. Der Pudel, gelähmt vor Schreck, wich nicht von der Stelle. Ich tat, was getan werden musste, marschierte auf die Tanzfläche und packte Amy am Arm, redete besänftigend auf sie ein. Amy wehrte sich schwach, trat unbeholfen gegen mein Knie; ihr wortloses Röhren endete in einem schwachen Blubbern. Der Auswurf auf ihrem T-Shirt sah aus, als wäre er aus ihrem Ausschnitt gequollen.
    Ich führte sie aus dem Konzertsaal, die geschwungene Treppe hinab auf die Plaza. Die Weite der Ebene schien sie zu beruhigen; hier gab es Raum für Begegnungen und urbanes Erleben. Jetzt ließ Amy sich willig steuern. Das Hafenpanorama war spektakulär; bogenförmig öffnete sich die Plaza und erweiterte den ohnehin schon grandiosen Blick. Unsere Blicke schweiften von der Köhlbrandbrücke über die Werft Blohm + Voss, den Arningkai mit der Deutschen Shell AG, den Segelschiffhafen am Amerikakai, über Afrikaterminal und Überseezentrum bis zur Eisenbahnbrücke am Freihafen und der Neuen Elbbrücke. Noch schoss der Wind durch die Öffnung, aber einst würde hier eine enorme Glasscheibe verhindern, dass sich jemand, von der tragischen Schönheit des Ausblicks verführt, die ganzen siebenunddreißig Meter in die Tiefe stürzte.
    Ich sah hinab ins schwarze Wasser, und ich musste kurz und unpassend an Brigitte Bardot denken, wie sie in »Le Mépris« nackt im Meer schwimmt, immer um die Felsen der Villa herum.
    Darum soll uns die Leichtigkeit der Flügel daran erinnern, dassdas Wesen der Engel in keiner Weise irdisch ist. Ganz unvermischt und der Schwere nicht unterworfen, erheben sie sich zur Höhe .
    Flieg, Englein, flieg, dachte ich. Und im nächsten Moment verschränkte ich meine Arme, als hätten sie sich nie bewegt.
    Als ich in den Konzertsaal zurückkehrte, spürte ich die Musik. Doch mir war, als gelangte sie nur bis zu meinem Ohrläppchen, ohne Kontakt zu Hammer, Amboss und Steigbügel. Ich sah die seligen Gesichter der Tänzer, die wachsende Wucht ihrer Bewegungen, das Gedränge, das von Song zu Song zunahm und immer wieder einen der Akteure fast in die Flammen trieb. Ich aber stand daneben, heizte mit Gabba nach und wunderte mich, dass ich nichts empfand.
    Ich brauchte eine Weile, um mich daran zu erinnern, dass es Amy war, die fehlte. Um mich daran zu erinnern, warum mir die Feiernden, mich eingeschlossen, wie Betrüger erschienen, wie Hochstapler, wie Prätendenten einer Königswürde, die uns nicht zukam. Amy war gegangen und hatte uns ihren Glanz entzogen; und jetzt stellten wir fest, dass es nur ihr Glanz war, der gemacht hatte, dass auch wir glänzten.
    Ich bin sicher, dass auch Schmiddel und Chuck, dass auch Zebra und Paul und vielleicht sogar Zork diese Abwesenheit spürten, dass sie unsere plötzliche Nacktheit wahrnahmen, unsere Nichtigkeit. Vielleicht kannten sie nicht den Grund für diese Leere; aber mit einem Mal bewegten sie sich wie Leute, die es nicht hatten . Die ES verdammt noch mal einfach nicht HATTEN.Ich verließ die Philharmonie noch in derselben Nacht. Ich

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