Überfall nach Ladenschluß
noch schweren Kränkungen wird er blutrünstig.“
Was Carezzo
auf der Zunge hatte, waren sicherlich Flüche mit hohem Beleidigungsgehalt. Aber
an einigen Tischen in der Nähe wurde bereits gelacht — über ihn. Er spürte, daß
er keine gute Figur machte, knirschte mit allen Backenzähnen und eilte zum
Ausgang.
Gina war
blaß. Sabrinas Unterlippe zitterte. Emilio Aiano war längst in der Küche
verschwunden und hatte von allem nichts gehört. Dr. Eichhorn lächelte
beifällig. Ein wissendes Lächeln war das nicht. Von dem, was hier lief, hatte
er sicherlich keine Ahnung. Aber er mochte Hunde und schätzte es, wenn ein
Besitzer für seinen Vierbeiner eintrat.
Jetzt stand
er mit gemurmelter Entschuldigung auf und tappte in Richtung Toilette.
„Sauköter!“
empörte sich Locke. „Dieser Dickwanst spinnt wohl? Hoffentlich war das kein
Stammgast, Sabrina.“
„Nein!“ Das
Mädchen schüttelte heftig den Kopf. „Das war... kein Gast. Der kommt nur so...
manchmal...“ Sie stockte, bevor sie aufs falsche Gleis geriet.
„Und pumpt
deinen Vater an, wie?“ Tom gab sich arglos. „Jedenfalls habe ich gesehen, wie
ihm der Küchenchef Geld gab. Und das ist doch dein Vater?“
Sabrina
nickte. „Aber er borgt ihm... nichts. Er... ich meine, mein Vater muß es ihm...
geben. Ach, ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts.“
Tom machte
ein Gesicht, als wäre ihm ein Himmelskörper auf die Zehen gefallen.
„Ich wage
kaum, es auszusprechen, Sabrina, was ich jetzt denke. Man liest und hört doch
überall, daß die Mafia hier ihre Zweigstellen gründet und italienische
Landsleute erpreßt. Einfach so, weil das ja bequemer ist als ehrliche Arbeit.“
Er senkte die Stimme, fiel ins Wispern. „Gehört ihr etwa auch zu den Opfern?“
Sabrina
erbleichte. Ein hilfesuchender Blick erfaßte Gina. Aber die wußte keinen Rat,
senkte den Kopf und zog an ihrem linken Daumen, als wäre der nicht lang genug.
„Brauchst
nichts mehr zu sagen“, flüsterte Locke. „O weh! Also stimmt das, war man so
hört. Wir dachten immer, es wäre ein Gerücht.“ Um möglichem Widerspruch
zuvorzukommen, fuhr sie rasch fort. „Die Situation eben war ja eindeutig. Aber
warum läßt sich dein Vater erpressen? Ich wäre zur Polizei gegangen.“
Die kleinen
Italienerinnen waren überrumpelt.
„Bitte,
verratet nichts!“ hauchte Sabrina. „Vor allem die Polizei darf nichts erfahren.
Sonst würden uns die Verbrecher töten. Ihr wißt nicht, wie die sind. Sie kennen
keine Gnade. Es ist einfacher, man zahlt ihnen, was sie wollen. Es fällt
schwer, und sie verlangen immer mehr. Aber mein Vater sagt, am wichtigsten ist,
daß wir leben.“
„Unser
großer Dichter Schiller“, sagte Tom, „hat zwar behauptet: Das Leben ist der
Güter höchstes nicht. Doch da habe ich ihm schon in meinem letzten
Deutschaufsatz energisch widersprochen. Insofern stimme ich deinem Vater zu.
Das heißt allerdings nicht, daß man sich auspressen läßt wie eine ungespritzte
Zitrone. Daß man erträgt, was Verbrecher einem aufladen. Wenn die auf meine
Kosten Frührentner spielen, würde ich sagen: Ohne mich!“
Sabrina
begann zu zittern. Die Angst vor der Mafia wurzelte tief, hatte sicherlich
schon ihre Urgroßmutter befallen und war von Generation zu Generation noch
gewachsen.
„Ihr
versteht das nicht. Gegen die Mafia ist man machtlos. Mein Vater ist nicht
feige. Aber er kann nichts tun.“
Locke
tippte Gina an.
„Ist eure
Familie auch betroffen?“
„Ich... ich
weiß nicht. Nein, ich glaube nicht.“
„Was macht
denn dein Vater?“
„Er hat
eine Tankstelle gepachtet.“
„Wenn er an
die Mafia blecht“, sagte Tom, „müßte er für den Sprit sicherlich Höchstpreise
nehmen.“
„Das tut er
nicht. Unsere Tankstelle liegt günstig“, sie sagte, wo. „Da verkauft er soviel
Benzin, daß er die Preise der andern sogar unterbieten kann — im Rahmen des
Möglichen.“ Sie lächelte. „Er hat soviel Arbeit, daß er sie nicht mehr allein
schafft. Jetzt sucht er einen Tankwart.“
Sagt sie
die Wahrheit? überlegte Tom. Beschränkt sich die Mafia auf Kneipen und
Restaurants? Oder werden auch Landsleute aus anderen Branchen (Geschäftszweigen) zur Kasse gebeten? Wenn ja, dann...
Erstaunt
hörte er sich sagen: „Als Tankwart wollte ich schon immer mal jobben. Ich mag
den Treibstoffgestank, hahah! Und ich interessiere mich für Autos. Wenn mich
dein Vater stundenweise anstellt, würde ich gern antreten. Hm?“
Locke sah
ihn an, als wäre er übergeschnappt.
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